Die Nacht war durchwachsen, man konnte im Hotel die Fenster nicht öffnen und obwohl ich die Klimaanlage laut Anzeige auf angenehme 18 Grad gebeten hatte, war es viel zu warm. Und die Bettdecke wieder so groß, dass es schwierig war, Körperteile hinauszustrecken, ohne Gefahr zu laufen, unter dem Gewicht eines Deckenberges elendig zu ersticken. Gegen 5 Uhr wachte ich zum ersten Mal auf, weil ich geträumt hatte, meine Wange sei da, wo die Zahn-OP war, angeschwollen. Ich untersuchte das im Spiegel und ja, irgendwie ist man ja morgens um 5 immer verquollen und das Gesicht nicht so ganz grade. Ich konnte beim Bestasten aber nichts spüren und sowieso tat auch nichts weh, also beschloss ich, weiterzuschlafen und wachte erst um 8 zum zweiten Mal auf.
20 Minuten nach dem Aufwachen war ich dann auch schon mit allem fertig, denn was soll man machen in so einem Hotelzimmer? Am längsten von allem hatte es gedauert, den Föhn zu finden (in einem der Nachttische). Dann machte ich mich auf den Weg ins Büro, nun kam ich aber wirklich zu meinem Spaziergang, der am Vortag ja leider ausgefallen war. Ich bemerkte: England riecht für mich nach Röstaromen – nach Kamin und nach Toast. In London weniger als in anderen Gegenden, aber durchaus auch.
Unterwegs bekam ich einen Anruf vom Fahrradladen, sie wollten das Rad von Herrn N zurückbringen und fragten mich, ob es „jetzt“ passen würde. Völlig auf dem falschen Fuß erwischt fragte ich zurück, welcher Wochentag denn sei und welche Uhrzeit. „Geht es Ihnen gut?“, fragte der Fahrradmensch und ich erklärte, dass ich einfach nur gerade ganz wo anders sei, geografisch wie mental. Also nannte er mir Wochentag und Uhrzeit und wir fanden ein gutes Arrangement.
Im Büro waren meine Mitreisenden alle schon da – der eine sogar seit 7 Uhr, ich war völlig irritiert und dann beruhigt, denn sie mussten alle noch Arbeiten am Budget vornehmen, die ich ja am Sonntag schon gemacht hatte. Den Vormittag über ließen wir uns dann Neuigkeiten zeigen: neu ausgebaute Flächen, neue Möbel, neue Technik, neuen SWAG, was es eben so alles in einem Büro zu zeigen gibt. Und besuchten die Bereiche, mit denen wir viel zusammenarbeiten. Dann war gemeinsames Mittagsessen, ich beschloss, dass Fish&Chips ein zahnfreundliches Essen ist. Der Backteig war allerdings ziemlich knusprig – aber meine Güte, die OP ist jetzt eine Woche her, da wird das ja wohl eher mehr als weniger zugeheilt sein. Beim Mittagessen bekam ich eine Nachricht, dass mein Flug storniert wurde, zum Glück konnte das Reisebüro mich umbuchen auf einen zwei Stunden früheren – was bedeutete, dass ich eigentlich sofort losmusste. Traurig war ich nicht, denn ich hatte den Vormittag über bemerkt, dass es mir nur noch mit unverhältnismäßig großer Mühe gelang, meine Rattenfängerpersönlichkeit aktiv zu halten.
Also beschloss ich, nachdem ich am Tisch eingecheckt hatte, noch aufzuessen und dann ein Taxi zu nehmen. Dann war noch Stau und ich kam ein weiteres Mal sehr knapp am Flughafen an – und hatte wieder Glück, die Sicherheitskontrolle war quasi leer und dann hatte der Flug sowieso Verspätung und ich saß noch über eine Stunde einfach nur herum. Und beim Herumsitzen fiel mir auf, dass ich mich gar nicht vor dem bevorstehenden Flug fürchtete. Das hatte ich schon auf dem Hinweg nicht, es da aber einfach auf Zeitmangel zurückgeführt. Jetzt hatte ich durchaus Zeit für Angst, spürte sie aber nicht in mir. Ich spürte nur leichte Freude, bald frei von jeglichen Aufgaben oder Gesprächsanliegen ein einstündiges Nickerchen machen zu können.
Im Flugzeug saß allerdings ein älterer Herr neben mir, der zum einen eine sehr schöne Jacke trug und zum anderen Kreuzworträtsel machte. In Rostock habe ich durch Violinista meine Liebe zu Kreuzworträtseln entdeckt, also zu der etwas verschlungeneren Variante. Der Herr löste solche Rätsel auf Englisch, wir kamen ins Gespräch und er schilderte mir einige Problemfälle. Viel konnte ich allerdings nicht beitragen. Nur „narwhal“ und „Pompeii“. Dann schlief ich doch ein, während ich über eine weitere Frage nachdachte.
Meinen Handgepäckskoffer hatte ich aufgeben müssen – die Maschine war komplett ausgebucht und so wurden diejenigen, die in Frankfurt keinen Anschluss mehr erwischen mussten, am Gate gebeten, das Gepäck aufzugeben. Nach der Wanderung durch den Flughafen setzte sich das Gepäckband aber gerade in Bewegung, und mein Koffer war gleich der zweite, der ausgespuckt wurde. Nachdem der Taxifahrer dann erst in die falsche Richtung davonfuhr und dann auch noch nicht richtig zuhören wollte, stritten wir, bis er mir sein Handy nach hinten gab, damit ich die Adresse ins Navi eingebe. „Haben Sie echt ein Bild von sich selbst auf dem Sperrbildschirm?!“ kam aus meinem Mund, bevor ich es verhindern konnte. Es hätte ja auch ein geliebter Zwillingsbruder sein können. War es aber nicht. „Naja ich finde das Bild ganz gut, das war direkt nach Friseur!“, wand sich der Fahrer ein wenig. Warum auch nicht, ich mache ja auch fast jeden Tag ein BeReal. Nach dem etwas unglücklichen Start war die – nun ja recht lange Fahrt – dann doch angenehm.
Und dann war es Zeit für den Sessel!
