12. September 2025 – Zähne und Zeichen
Ich habe das Gefühl, unfassbar viele Zähne im Mund zu haben. Ich bin ein Krokodil. Oder Stefan Raab, der sieht auch immer so aus, als habe er mehr Zähne als alle anderen Menschen auf der Welt. Dabei habe ich heute nur die Krone auf ein Implantat bekommen (da, wo vorher der Milchzahn war) und zwei Inlays in Zähne mit alten Amalgamfüllungen. „Wie fühlt es sich an?“, fragte die Zahnärztin? „Sehr viele Zähne!“ nuschelte ich durch die Betäubung.
Zum ersten Mal seit Mai darf ich wieder alles, was ich will auf beiden Mundseiten kauen. Rohe Karotten, Nüsse, Eiswürfel! Es ist grandios!
Eine kleine Stelle an einem Inlay ist wohl optisch nicht perfekt. Man sieht sie, wenn man die Unterlippe nach hinten zieht und dann von schräg hinter mir mit einer Lupe und Lampe den Backenzahn Nr. 47, also den Zahn vor dem Weisheitszahn anschaut. Ich wüsste nicht wer das jemals tun würde außer der Zahnärztin, sagte also „ich denke, das ist Ihr Problem, nicht meines“. Sie antwortete, dass sie ja nicht wisse, wie mein Privatleben aussieht. Seitdem überlege ich, was sie damit meinen könnte.
An die ganzen Zähne im Mund muss ich mich jedenfalls erst einmal gewöhnen. Zumal ich aktuell keine Knirschschiene habe, denn heute war das Internet in der Praxis ausgefallen, was das Scannen von Zähnen und die Datenübermittlung ans Labor unmöglich machte. Normal trage ich nach irgendwelchen Zahnsachen immer gern ganztätig die Knirschschiene, damit ich nicht so viel mit der Zunge herumprobiere und unterschiedliche Arten zu beißen teste. So gewöhne ich mich schneller. Wie gesagt, jetzt nicht, jetzt muss ich mich ohne Hilfsmittel gewöhnen. Aber ich habe gleich in zwei Wochen den nächsten Termin und dann wird auch die Schiene angefertigt, spätestens dann ist alles gut.
In der täglichen Contentvorschlagliste wird gefragt, wie meine Erfahrungen mit dem Duolingokurs „Arabisch“ sind. Ich mache nun seit 47 Tagen täglich eine Lektion. Ich begreife rein gar nichts. Ich kann ein paar Schriftzeichen erkennen (ist mir auch auf der Straße neulich an einem Geschäft schon aufgefallen), ich absolviere die Übungen meist fehlerfrei, gleichzeitig habe ich nicht die geringste Ahnung, worum es überhaupt geht. Ich weiß nicht, ob die Zeichenkombinationen, die ich Lauten zuordne, existierende Worte sind oder Buchstabenbezeichnungen oder Phantasie. Eine Zeit lang ging es um Städte. Es kommt erschwerende hinzu, dass die Unterrichtssprache Englisch ist, das heißt ich ordne die Schriftzeichen einer englischen Lautsprache zu, was für mich – als deutsche Muttersprachlerin – halt doch immer noch „once removed“ ist.
Als ich die Schriftzeichen zum ersten Mal sah, dachte ich „kannste vergessen“. Sie wissen: ich bin die Person, die Bildsprache nicht richtig lesen kann, also Symbole, Piktogramme, Emojis nicht einfach erkennt sondern sie lernen muss, wie Vokabeln. Ich sah keine Chance für mich, mittelfristig diese Schriftzeichen identifizieren/wiedererkennen oder ihnen gar eine Bedeutung entnehmen zu können. Andererseits, dachte ich mir, habe ich unsere Schriftzeichen ja auch irgendwann gelernt, sogar in Schreibschrift und Druckschrift und fühle mich in der Verwendung sogar überdurchschnittlich kompetent. Mein Gehirn kann das daher grundsätzlich wohl schon.
Deshalb ließ ich mich entspannt auf das Experiment ein und bin überrascht, dass ich irgendwie doch meist das richtige erkenne und zuordne, auch, wenn es für mich inhaltlich noch völlig bedeutungslos ist.
Ich lasse mich noch überraschen, wo das alles hinführt. Effizient erscheint mir die Vorgehensweise bisher nicht und das ist mir egal, weil ich keinerlei Ziel verfolge. Ich bewege mich eher neugierig staunend umher.