Gestern hatte ich einen schlauen Moment, als ich nämlich abends fertiggearbeitet hatte und mir überlegte, dass ich ein komisches Gefühl im Kopf und eine leichte Unsicherheit in Bezug auf räumliche Verhältnisse habe und daher lieber nicht aktiv am Straßenverkehr teilnehme. Das Schlausein ging leider nicht den ganzen Weg: zwar ließ ich das Rad stehen und nahm ein Uber, allerdings nicht nach Hause sondern direkt zur Chorprobe, die bis 22:30 Uhr ging. Das wäre anders vermutlich besser gewesen.
Ich hatte erst einen Fahrer zugewiesen bekommen, dessen Ankunftszeit dann von 4 Minuten auf bis zu 17 Minuten hochzählte, bis ich die Reißleine zog und umbuchte. Zum neuen Fahrer sagte ich nebenher, dass wohl um den Bahnhof herum sehr viel los sei und er besser eine andere Strecke nähme, der Fahrer vermutete dann allerdings, der andere Kollege habe die Fahrt nicht machen wollen und daher „Stau gespielt“, das würde man manchmal tun, um Fahrten nicht ausführen zu müssen, ohne dass der Chef denkt man sei faul.
„Auch egal, jetzt sitze ich ja hier und wir fahren, ich wünsche dem Kollegen einfach alles Gute!“, sagte ich und der Fahrer sagte „Man merkt, dass Sie ein gläubiger Mensch sind!“ Kurz war ich irritiert. Dann fiel mir ein, dass mein Fahrziel ja eine Kirche war. Ich beschloss, die Situation unaufgeklärt zu lassen. Ich bin schon schlimmeres genannt worden als „gläubiger Mensch“. Die Fahrt über versuchte ich mich in meine Rolle einzufühlen: ein gläubiger und auch vergebungsvoller Mensch, gegen 19:45 Uhr vom Büro aus unterwegs in eine Kirche, um dort ein Abendgebet zu sprechen. Es fühlte sich ruhig und kontrolliert an, wie eine Person, die weiß was sie tut und warum. Sehr schön. Am Zielort sang ich Arvo Pärt statt zu beten und selbst das war nicht kontrolliert, denn eigentlich hatte ich aufgrund der Stimmsituation nach Schnupfen nur zuhören und passiv lernen wollen, nicht singen. Aber das hatte ich vergessen. Wie gesagt, die Schlauheit reichte nicht den ganzen Weg.
Zu Hause reichte Herr N mir Abendessen an doch ich schlief dabei ein – im Sessel mit Teller auf dem Schoß, so dass er mich wachrüttelte und ins Bett schickte. Heute morgen um 4 wachte ich dann mit einem ausgewachsenen Migräneanfall auf, nahm Schmerzmittel, schlief weiter, wachte zu einer ganz leichten Besserung gegen 10 Uhr wieder auf, nahm Lebensmittel- und Frühstückslieferung entgegen und verbrachte eine Stunde wach im Sessel, bevor ich wieder einschlief, um 14 Uhr erneut aufwachte und dann endlich Triptan einzunehmen.
Dann war mir zwei Stunden schwindlig,also irgendwie ein Tag für die Katz, die es genoss, dass ich so viel im Sessel saß und sie neben mir schlafen konnte. Alles, was ich für heute geplant hatte, blieb liegen: Betten neu beziehen, die ganze Wäsche waschen, Katzenbrunnengrundreinigung, Küchenschränke obendrauf wischen, zwei große Pakete auspacken und verräumen, und diverser Papierkram, den ein Haushalt so abwirft. Weder wollte der Körper sich über Zeitlupentempo hinaus bewegen, noch war der Verstand bereit für irgendeine kognitive Performance.
So beschloss ich, einen ausgedehnten Spaziergang zu machen und das Fahrrad abzuholen. Dabei kam ich an diversen Läden vorbei, die sich für Einkäufe von Adventskalendermaterial für M und meine Schwester eigneten. Für M habe ich jetzt alles für 26 Türchen beisammen (ich habe mich nämlich verzählt, wie gesagt, kognitive Performance schwierig) und für meine Schwester immerhin 9 Türchen.
Woran ich auch vorbeikam: ein Mann, der mich gleich an der ersten Straßenecke – also noch in Offenbach – ansprach: ich sähe so aus, als wüsste ich über alles Bescheid. Ob ich ihm sagen könnte, wie lange in Frankfurt auf der Zeil die Kaufhäuser geöffnet seien, er müsse für eine Feier morgen noch eine Hose kaufen und fragte sich, ob es noch lohne, loszufahren (es war 17 Uhr). Ich konnte ihm sagen, dass er bis mindestens 20 Uhr noch fündig werden kann, erwartete dann eigentlich ein Umschwenken des Gesprächs auf irgendein abseitiges Thema, doch das geschah nicht. Der Mann bedankte sich und ging Richtung S-Bahn.
Jetzt sitze ich schon wieder im Sessel. Die Katze findet es gut.
