Die Herren Herzbruch fuhren heute noch einmal zu Kriegsschauplätzen, wir anderen blieben daher im Anwesen, denn wie gesagt, eine andere Fortbewegungsweise als die per Auto ist hier nicht vorgesehen. So harrten wir – gut versorgt durch morgendliche Einkäufe – auf der Terrasse mit Meerblick den ganzen Tag über aus, in meinem Fall unterbrochen von einem kleinen Schläfchen.
Ich las dabei – beim Auf-der-Terrasse-sitzen, nicht beim Schlafen – die Tagebücher von Erich Mühsam und war amüsiert-verwundert über sein ständiges Jammern hinsichtlich seiner wirtschaftlichen Situation. Ein erwachsender Mann, der erwartet, von seiner Familie ausgehalten zu werden – war das damals üblich? Und er bekam sogar finanzielle Unterstützung aber fand, es sei zu wenig, schließlich sei ja mehr Geld da. Dann andererseits gehen ja heute auch viele Leute davon aus, es stünde ihnen irgendwie zu, dass andere ihnen ein auskömmliches Leben ermöglichen. Darüber bin ich auch immer wieder verwundert.
Später geschah das Ereignis des Tages: ein Wägelchen hielt am Campingplatz gegenüber und trug die Aufschrift „Le Petit Wan“. Wir gingen es besichtigen, es handelt sich um einen Thai-Imbiss, der immer Mittwochs kommt. Dienstags kommt ein Döner&Burger-Wagen, was an den anderen Tagen kommt, habe ich schon vergessen, was daran liegt, dass kein einziger Wagen für uns irgendwie interessant ist.
Morgen fahren wir einen Ort besichtigen, der auch ganz toll sein soll – er hat die größte Austernzucht Frankreichs (örks), vor der Küste liegt eine Quarantäne-Insel, die bei der Pest und dann noch bis ins letzte Jahrhundert in Gebrauch war, es gibt zwei Türme, die nach einer verlorenen Seeschlacht mit der niederländisch-englischen Flotte entstanden und einer davon wird noch militärisch genutzt, dann gibt es noch eine Kirche die allen im Meer Ertrunkenen gewidmet ist. Das Highlight des Ortes scheint ein Laden mit Gewürzen, Feinkost und Deko-Zeugs zu sein, in dem Frau Herzbruch sich heute schon mental einen Einkaufskorb zusammengeklickt hat.
Die Überfahrt zur Pestinsel haben wir für einen anderen Tag gebucht, morgen war schon alles voll – es dürfen nur 500 Personen pro Tag auf die Insel. Man könnte theoretisch auch zu Fuß durchs Watt hinwandern doch haben wir nicht die richtige Ausrüstung und außerdem ist Nipptide, da zieht das Wasser bei Ebbe nicht weit genug raus, zusätzlich käme es mit den Uhrzeiten auch alles nicht hin. Und Handyempfang um Rettung anzufordern ist hier ja auch nirgendwo.
Dann müssen wir morgen noch einkaufen, und zwar den Cidre rose doux e fruité. Den Champagner nehme ich wieder mit nach Hause, wir haben derzeit einen billigeren Geschmack.
Ach Mensch, wen meinen Sie denn mit den „vielen Leuten“, die davon ausgehen, „es stünde ihnen irgendwie zu, dass andere ihnen ein auskömmliches Leben ermöglichen.“? Doch nicht etwa Alleinerziehende, Kranke oder gering Verdiener, die auf staatliche Fürsorgeleistungen angewiesen sind? Hat ausgerechnet bei Ihnen billigste Linnemann-Propaganda verfangen? Oder meinen Sie Menschen, die große Vermögen erben?
Ich meine Leute aus meinem Umfeld, die Sie aber vermutlich nicht kennen, insofern ist es irrelevant, wer genau das jetzt ist.
Eigentlich stellen Sie aber glaube ich eher eine Gesinnungsfrage, die ich dann auch gleich beantworten will. Ich halte staatliche Fürsorgeleistungen für eine große Errungenschaft unserer Gesellschaft. Im Sinne der Menschlichkeit halte ich es für unabdingbar, Bedürftige zu unterstützen und es ist gut, dass das staatlich geregelt ist und wir nicht in jedem Fall individuelle Lösungen finden müssen – ich bin sehr froh, dass wir uns das Sozialsystem als Gesellschaft leisten können und leisten. Steuern und Abgaben für diese Zwecke zahle ich gerne. Ebenfalls im Sinne der Menschlichkeit verbietet es sich, das System zu missbrauchen, sei es durch Hinterziehung von Steuern/Sozialabgaben oder missbräuchliche Inanspruchnahme von Leistungen.