20. Januar 2024
Ich wachte heute Morgen von Gekruschel von Violinista auf und lauschte sofort gespannt, weil ich dachte, sie würde in ihr Büchlein schreiben. Sie führt seit einiger Zeit ein 6-Minuten-Tagebuch, in dem sie jeweils morgens und abends die Antworten auf drei Fragen notiert, die sie sich selbst gestellt hat, also: täglich stellt (wobei die endgültige Version dieser Fragen noch nicht feststeht). Das fand gestern Abend natürlich auch statt, ich war sehr interessiert und bat um Vorlesen aus dem Büchlein, nach kurzer Diskussion (aber das ist doch privat! – aber ich bin doch deine Freundin!) wurden mir Details offenbart und für den Morgen gab es eine Frage, die mich sehr interessierte, nämlich „wofür bin ich dankbar“.
Ich hatte vor ein paar Monaten ja schon im Chor (für das Herbeiführen des richtigen Mindsets für eine Passage) nichts gefunden, wofür ich dankbar bin. Ich bin oft sehr glücklich, nicht aber speziell dankbar, zu Dankbarkeit gehört für mich irgendeine Adresse, an die sich die Dankbarkeit richtet und gleichzeitig das Konzept, dass etwas auf irgendwie großzügige Art und Weise „gegeben“ wird, ein Machtverhältnis spielt da mit rein.
Violinista kenne das Dankbarkeitssprech hauptsächlich aus dem Yoga-Kontext, dort wird das häufig verwendet. Wir überlegten viel daran herum, mich interessiert auch, wie andere Personen Dankbarkeit auslegen.
Es war aber Lakritz. Also das Geräusch von dem ich aufwachte. Und es war noch Nacht, das wirkliche Tagebuchschreiben am Morgen kam erst Stunden später.
Der Tag verging dann hopplahopp, ich musste morgens zum Optiker und ein paar Einkäufe machen, um 12 ging es schon los zum Demonstrieren für Demokratie, anschließend aßen wir bei Mutter Ernst Winterbratwurst (mit Rosinen und Walnüssen), dann musste Violinista einen Haufe aussortierter Klamotten von mir anprobieren und es wurde zeitlich so eng, dass sie die ersten 5 Minuten vom Dschungelcamp verpasste.
Die tägliche Contentvorschlagliste fragt heute, ob ich das Gefühl kenne, beleidigt zu sein. Natürlich kenne ich dieses Gefühl. Wer kennt es nicht?
Es gibt hier möglicherweise ein Missverständnis, auf das ich häufiger stoße. Es ist ganz sicher nicht so, dass ich irgendwie weniger Emotionen habe als andere Leute, diese Emotionen treiben mich nur (meist) nicht. Ich handele selten unmittelbar aus Gefühlen heraus. Ich habe z.B. Angst vor Dingen, gleichzeitig entscheide ich, sie zu tun, gleichzeitig bin ich gut gelaunt dabei, gleichzeitig zittern mir die Hände oder klappern mir die Zähne. In mir ist bei Gefühlen eine große Gleichzeitigkeit und so gut wie nie eine Mischung. Ich kann sehr traurig sein und gleichzeitig über etwas anderes sehr glücklich, ich kann sagen „mir geht es heute so mittel“ und gleichzeitig gut gelaunt sein, genauso, wie ich oft sehr müde bin aber dabei keinerlei Wunsch oder Sehnsucht nach Schlaf oder Erholung habe. Es ist halt komplex.
Gerade am Mittwochmorgen war ich noch für ca. 30 Minuten beleidigt, durch eine Nachricht vom nOC. Gleichzeitig war ich genervt, dass ich von zu Hause arbeitete (wegen Blitzeis) und gleichzeitig war ich in Sorge wegen des Anrufs, Sie erinnern sich vielleicht, den ich machen musste. Ich war also nicht so richtig sicher, ob meine Empfinden der Kränkung eventuell auch mit den letzten beiden Aspekten zusammenhing und ging dieser Frage erst einmal nach. Ich fand dabei heraus, dass ich auch in einem Grundzustand tiefsten Seelenfriedens durch die Nachricht gekränkt wäre, folglich überlegte ich warum. Der Grund war, dass wir eine Sache völlig gleich sehen, uns die äußeren Umstände aber sehr nahelegen, sie vorübergehend aufzugeben. Das hatte ich getan und kommuniziert, mich damit in eine von mir komplett ungewünschte Position begeben, der nOC konnte dafür bequem auf seinem Standpunkt verbleiben, es war ja schon alles (von mir) geregelt und statt mir dafür dankbar (!) zu sein, machte er sich meiner Interpretation nach lustig. Deshalb war ich beleidigt. Vielleicht natürlich alles ein Missverständnis. Vielleicht auch eigentlich total egal.
Es war mir aber nicht egal, also fragte ich bei der nächsten Gelegenheit (30 Minuten später) nach: „Ich habe das, was Sie gesagt, haben, so aufgefasst, dass Sie sich über mich lustig machen. Ist das so oder habe ich das falsch verstanden?“ Das muss ich ja erstmal wissen und ist die Antwort „ja, ist so“ kann ich ab da weitergucken, wie es dazu gekommen ist. War das alles unabsichtlich/gedankenlos (oft) oder war es gezielt (manchmal), ist die andere Person evtl. ein Arsch (selten) oder hat sie selbst irgendeinen Schmerz, der sie treibt (oft) oder hat mein Verhalten evtl. Anlass für die Kränkung gegeben (auch oft).
Und ganz wichtig: warum bin ich beleidigt, nur weil mich wer beleidigen will, muss ich ja noch lange nicht beleidigt sein, das kann ich ja immer noch selbst entscheiden. An welchem Punkt werde ich da gerade getroffen, der mir ja offensichtlich nicht egal ist, ist es z.B. etwas, das ich für wahr und richtig halte und das wird jetzt angegriffen oder ist es was, das ich selbst gern anders hätte aber nicht anders hinbekomme und es beschämt mich, dass da jetzt jemand drin herumbohrt. Und was mache ich dann daraus. Diese Gedanken bringen mich dann in Handlung, nicht das Gefühl, beleidigt zu sein. Das ist nur ein Impuls, nachzudenken.