26. September 2023
Täglich schreiben, das war der Plan. Danke für die Vorschläge in der unverbindlichen täglichen Contentvorschlagliste (oben verlinkt), ohne die wäre ich jetzt aufgeschmissen. Thema heute: „Inwiefern ist die Berufs-Frau N. anders als die Privat-Frau N.?“
Meine erste spontane Reaktion war: beides ist genau gleich. Denn ich habe nie das Gefühl, dass ich an meinem Arbeitsplatz andere Gefühle oder Haltungen vertrete (oder vertreten muss) als privat. Gleichzeitig setzt mir meine Rolle am Arbeitsplatz einerseits manchmal Grenzen und spannt andererseits manchmal die Komplexität viel weiter auf.
Ich versuche, ins Detail zu gehen, um das verständlicher zu machen: Im Job laufen die Fäden zwischen sehr viele Bereichen und Prozessen bei mir zusammen, ich würde grob sagen, 95% aller Themen, die meinen Standort betreffen, gehen in irgendeiner Weise über meinen Tisch, so dass ich von allen Personen dort vermutlich den umfassendsten Blick über den Gesamtzusammenhang habe.
Mein Job hat sich in den letzten Jahren dahin entwickelt, dass es in weiten Teilen meine Aufgabe ist, eine gemeinsame Wirklichkeit für alle herzustellen. Durch Abläufe und Vorgehensweisen und auch durch Formung von unausgesprochenen Werten und Haltungen. Unterschiedliche Menschen haben natürlich unterschiedliche Herangehensweise, Vorstellungen und Wünsche und es gehört zu meinem Job, all das zu einem funktionierenden Gebilde zusammenzufügen und zusammenzuhalten.
Dieses Gebilde ist komplex und in unablässiger Bewegung und meine Aufgabe ist es, mit meinem Wissen über die Organisation ständig Entscheidungen zu treffen und damit die Komplexität für andere zu reduzieren. Diese anderen sind mit den Entscheidungen nicht immer zufrieden. Oft sind meine Entscheidungen vom Standpunkt einer einzelnen Person oder Einheit aus betrachtet dumm, ergeben im Gesamtzusammenhang erst Sinn. Oft sind meine Entscheidungen im bekannten Gesamtzusammenhang dumm und ergibt nur Sinn, wenn man über zusätzliche Informationen verfügt, die ich aber nicht teilen kann, weil sie einer Vertraulichkeit unterliegen. Oft sind meine Entscheidungen für Personen, die die Haltung und Werte, die ich vorausgesetzt hatte, nicht teilen dumm, dann habe ich vorher nicht die richtige Basis dafür geschaffen. Oft liege ich auch einfach ganz generell falsch. Das alles ist nicht messbar, denn wenn wir den einen Weg einschlagen, erfahren wir nicht, wie der andere Weg verlaufen wäre, dazu sind die Dinge zu komplex.
Meine Währung ist dabei meine Glaubwürdigkeit. Ich kann Fehler machen, ich kann mich irren. Aber ich kann nichts unter den Tisch kehren und ich kann mich nie verstecken, ich muss mich immer positionieren und ich muss immer klar kommunizieren.
Privat habe ich den Luxus, dass ich mich auch mal zurücknehmen kann, weggucken, mich nicht befassen muss. Ich kann privat andere gut sein lassen: wenn andere Dinge anders handhaben als ich, ist mir das sehr egal, im Zweifel treffe ich mich einfach nicht mehr mit denen. Ich kann mir auch mal die Decke über den Kopf ziehen, mich wegducken und wen anders machen lassen, ich kann auch mal ausrasten und es wird mir verziehen. Gleichzeitig ist mein Blick privat einerseits viel enger, ich muss mir vertrauensvolle Informationen viel härter erarbeiten, sie werden nicht wegen meiner Rolle mit mir geteilt. Andererseits habe ich privat die Chance, völlig transparent zu sein, Hintergründe ohne Rückbehalte auszutauschen und das ist ein riesiger Gewinn.
Es ist klar, dass ich diesen Job nicht machen könnte, wenn sich nicht eine gewisse Disposition aus meiner Persönlichkeit in den Beruf transportieren würde. Gleichzeitig übertragen sich aber natürlich auch Teile der Haltung, der Attitüde, die mein Job von mir erfordert, ins Privatleben.
Insofern würde ich sagen, bei Berufs-Frau N und Privat-Frau N ist der Kern gleich. Die Verpflichtungen und Freiheiten sind aber unterschiedlich und stellen deshalb unterschiedliche Persönlichkeitsanteile in den Vordergrund.