Herzregen in Wien – Tag 3 und 4
Wir sitzen im Zug zurück nach Hause. Frau Herzbruch ist angespannt, denn mit uns in dieselbe Richtung reisen ein Mann mit schlechter Stimme, eine Frau mit schlechtem Geruch und ein Mann mit schlechtem Verhalten, dem wir schon in der U-Bahn begegnet waren und der durch übermäßige Raumforderung Frau H fast einen Arm gekostet hätte (Stand momentan: es wird wohl gut ausgehen).
Ich habe für die meisten Probleme schon eine Lösung gefunden. Für die Stinkefrau habe ich eine Salbe mit Campher dabei, die man sich wie eine Pathologin unter die Nase reiben kann. Frau Herzbruch ist gegen die Salbe allergisch, ich hoffe sie fängt bald an zu Niesen, das würde mir in die Karten spielen. Ich beschäftige mich nämlich damit, den Mann mit schlechtem Verhalten zu trollen, er sitzt mir schräg über den Gang gegenüber. Ich betrachte ihn schon etwa eine Stunde lang, seine Begleiterinnen auch, kommentiere zu Frau Herzbruch ihre Gespräche und Getränke und habe ihm vorhin angeboten, ein Foto von seiner Reisegruppe zu machen. Er hasst alles daran und wäre lieber allein ohne die Begleitung da, mit Begleitung kann man nicht entspannt scherzen und dann immer mal unvermittelt gefährlich über den Gang starren, das funktioniert nicht gut. Ich bin gespannt, wie sich das noch entwickelt, momentan schaut er konzentriert von mir weg. Unsere Zugbindung ist schon gefallen, sollte der Waggon hier bald stimmungsmäßig in Schutt und Asche liegen, können wir einfach Aussteigen und mit einem anderen Zug weiterfahren.
Gestern haben wir noch viel erlebt. Vormittags waren wir bei den Wiener Sängerknaben in einem Konzert, schöner Konzertsaal mit viel Gold, anstrengendes Publikum weil: was ist denn los mit so vielen Erwachsenen, dass die immer so unruhig herumzappeln und nicht mal 2 Stunden die Klappe halten können beziehungsweise: volles Verständnis, nicht 2 Stunden regungslos auf eine Bühne starren zu können, aber das für gibt es doch Abhilfe. Man kann ein Buch mitnehmen, um andere Leute nichts mit Umblättern zu stören, vorzugsweise ein elektronisches oder quasi „unter dem Tisch“ Candycrush spielen, da muss man sich auch nicht viel bewegen und nix stört. Unfassbares Gehibble und Gemurmele ständig, diese ganzen Erwachsenen haben offensichtlich nie gelernt, sich irgendwie selbst zu regulieren und was es bedeutet, dass Film- und Bildaufgaben nicht gestattet sind, scheint auch nicht kognitiv erfasst zu werden. Das finde ich sehr schlecht.
Nach den Sängerknaben gingen wir wieder frühstücken, in eins der Lokale, in denen wir auch beim letzten Mal waren. Da war es schön. Dabei überfiel uns Furcht vor dem Abend ohne Kulturprogramm. Was sollten wir tun, etwa miteinander sprechen? Es hat sich ja so ergeben, dass wir sowieso immer dasselbe sagen, da ist Unterhaltung keine attraktive Option. Nochmal Oper oder nochmal Konzert konnte ich mir auch nicht so richtig vorstellen. Theater kam in Frage, die Suche nach einer geeigneten Vorstellung war hart, entweder war alles schon vorbei oder begann in Kürze oder es dauerte 4 Stunden, das ist mir zu lang, oder es war ganz weit weg. Schließlich fanden wir ein kleines Theater in Laufnähe mit Vorstellung zur passenden Zeit, akzeptablem Preis und während wir noch über den möglichen Umgang mit print@home-Tickets haderten, rief ich einfach kurz an, schilderte die Situation und erfuhr, wir sollten einfach kommen, es würden zwei Karten zurückgelegt für uns. Ich fragte, wann wir da sein sollten, also wann Einlass sei und die Antwort war „Na kurz bevor es losgeht…“
Das fand ich verdächtig, googelte und hatte ab da den Spaß meines Lebens, weil völlig klar war, dass wir nicht in irgendein ganz normales Theater gehen sondern einer sicher ganz individuellen Vorstellung in einem individuellen Ambiente beiwohnen würden. So war es dann auch. Ich möchte gar nicht mehr darüber erzählen, habe auch keine richtigen Worte dafür, die Situation dieses Theaters und all seiner Umstände ist mir komplett unbegreiflich.
Den Rest des Abends recherchierten wir alles, was wir finden konnten, über das Theater, um uns das Ganze besser erklären zu können. Bis jetzt ohne durchschlagenden Erfolg.