Herzregen in Wien – Tag 1
Erstaunlich, wie kurz 8 Stunden Zugfahrt sein können. Als wir in Wien ausstiegen, waren wir beide einigermaßen verblüfft. Ich hätte geschätzt, dass wir so grob 2 Stunden dort saßen und geplaudert haben.
Eine harmlos klingende, im Verlauf jedoch dramatische Situation bahnte sich bereits unterwegs an. Frau Herzbruch spielt nämlich (wieder oder immer noch) Pokemon Go und bat um Verständnis, dass sie ihr Handy die nächsten Tage nicht aus der Hand legen und mich auch nicht unbedingt immer anschauen, vermutlich aber doch beachten wird, außer es ist gerade etwas ganz Besonderes im Spiel zu erledigen. Das ist für mich völlig in Ordnung, ich mag ja schnell wechselnde, durchbrochene Situationen, erinnerte mich dann aber, dass ich ja auch mal gespielt hatte. Warum also nicht für die gemeinsame Reise das Account reaktivieren?
Das tat ich, also Spiel wieder installieren, Login ging sogar, ich bin Level 31 („da kann man ja sogar einigermaßen etwas mit dir anfangen“, sagte Frau Herzbruch), hatte aber absolut alles vergessen, die gesamte Bedienung, wie man Bälle wirft, worum es eigentlich geht. Das ist nicht der dramatische Aspekt. Der dramatische Aspekt ist, dass ich bei Spielen keinerlei Impulskontrolle habe. Mein Handy und meine Computer sind deshalb absolut spielefrei. Ich kann das schlicht nicht kontrollieren, allein mit CandyCrush habe ich mir schon ein Überbein an der Hand erspielt und nicht nur einmal sondern gleich zweimal hintereinander. Alle paar Jahre probiere ich mal wieder etwas aus, weil ich denke, ich habe mich vielleicht weiterentwickelt und kann das besser handhaben. Es war bisher nicht der Fall. Es ist auch jetzt nicht der Fall. Ich habe vielleicht 3 Stunden geschlafen in der letzten Nacht, vom Bett aus sind 3 Pokestops zu erreichen und manchmal eine Arena, es gibt viele neue Features im Spiel, viel zu Sortieren. In den 3 Stunden, in denen ich schlief, träumte ich vom Spiel. Ich werde es in ein paar Tagen, wenn ich ausreichend von den Folgeumständen durchgemangelt bin, wieder löschen.
Hauptprogrammpunkt gestern war Oper – Le Nozze di Figaro. Ich dachte, ich kenne diese Oper nicht, das stimmt aber gar nicht, ich hätte jede Arie quasi mitsingen können, irgendwo von ganz tief in meinem Gehirn kam das hervor. Bewusst habe ich sie nie zuvor gehört oder gesehen, Mama N hat früher aber viel Opern gehört zu Hause, wenn etwas im Radio lief oder teilweise auch von Schallplatten. Le Nozze die Figaro muss eine gewesen sein, die ihr besonders gut gefallen hat. Mir hat es auch gut gefallen. Im Zug hatten wir und die Handlung genau durchgelesen, da war ich etwas angestrengt, meine Güte, ständig Missverständnisse und Leute verstecken sich irgendwo, das ist ja nicht so mein Ding. Die Umsetzung gefiel mir gut. Ich hatte Oper ganz anders in Erinnerung. Meine letzten Opernbesuche waren, als ich noch studierte und damals hat es mir nie so richtig gut gefallen. Ich hatte das so im Kopf, dass Personen hauptsächlich auf der Bühne nur sehen und singen, es gibt wechselndes Bühnenbild aber die Bewegung ist eher reduziert. Das war gestern ganz anders, sehr viel Bewegung, sehr viel Ausdruck, sehr körperlich, eigentlich wie Schauspiel, nur dass die Stimmen sangen statt sprachen. Hatte ich das falsch in Erinnerung oder war das früher anders? Frau H kann es mir nicht sagen, sie war zum ersten Mal überhaupt in einer Oper. Wir hatten einen Platz in einer Loge, dritte Reihe, stark sichteingeschränkt, etwa die Hälfte der Bühne war sichtbar – für mich absolut in Ordnung, ich kann sowieso nicht mehrere Stunden lang einer Darbietung zuschauen, mir reicht es völlig aus, das zu hören. Man saß auf etwas höheren Stühlen mit Fußabstellmöglichkeit, da wir hinten saßen, hatten wir hinter uns noch die Wand der Loge zum Kopf anlehnen. Die Karten kosteten 17 Euro pro Person, ein sehr gutes Preis-Leistungsverhältnis, die zwei auf den zwei Stühlen vor uns saßen zwischen vier wildfremden Menschen eingepfercht ohne Chance, ihre Stühle hin- und herzurücken oder sich irgendwo (vorne die Brüstung oder hinten die Wand) anzulehnen, das muss man schon wollen. Es war ein Pärchen, das sich aneinander anlehnte, immerhin. Die Sicht da marginal besser, die Karten kosten dann aber schon das 10fache.
Ich kann mir vorstellen, zukünftig häufiger in die Oper zu gehen. Entweder ist es anders als früher oder ich bin anders, habe einen anderen Blick darauf. Alles, was mir früher unglaublich laut, schrill, starr, barock-überladen erschien, war gar nicht so und ich hatte das Gefühl, das Stück richtig zu verstehen, also nicht nur inhaltlich, das hatten wir ja vorher gelesen, sondern die Musik, die Dynamik, die Entwicklungen – das ergab alles einen Sinn in meinem Kopf.
Der wesentliche Aspekt der Wienreise im letzten Jahr war ja „Kulinarik“. Dieses Mal, so hatten wir beschlossen, wird das Essen ein Nebenaspekt, leider ein in der Planung etwas schwieriger, denn an den meisten Abenden sind wir ab 17 oder 18 Uhr und bis 22:30 Uhr in der Oper. Vor 17 Uhr habe ich keinen Hunger, nach 22:30 Uhr ist es schwierig, noch was zu finden. Gestern lösten wir das durch ein spätes Mittagessen noch am Bahnhof, bei einem Thai, Orange Chicken und Cashew Nut Chicken durch zwei geteilt um 15 Uhr, das hielt gut vor bis 22:30 Uhr, dann schauten wir uns spontan auf der Straße um, was es so gäbe und entschieden uns für „Trdelnik“ vom Straßenstand, das tat seine Dienste, wir waren ausreichend aufgezuckert und gingen in die Bar, um mit den Nüsschen und Oliven dort gegenzusteuern. Um 2 Uhr waren wir zu Hause, nicht hungrig, nicht durstig, die Wohnung ist vom letzten Aufenthalt bekannt.
Heute Pferdeshow, später Wagner-Oper, anschließend wieder Bar, dazwischen Pokemons fangen, ich muss jetzt los!