Herzregen im Urlaub

Herr Budddenbohm ist aus dem Urlaub zurück, wir (also Frau Herzbruch und ich) übernehmen an dieser Stelle die Urlaubsstaffel. Daher reisten Herr N und ich gestern morgen um 5 Uhr zu Familie Herzbruch, um dort in einen kleinen angemieteten Reisebus der ausreichend Platz für 5 Personen, 1 Hund und viel Gepäck (hoffentlich) bot, umzusteigen, dann würde jemand den Bus wegfahren und den so freigewordenen Parkplatz würde für die nächste Woche unser Auto besetzen, versorgt von den freundlichen Nachbarn. Daher blieb unser Autoschlüssel auch bei Herzbruchs, einen Zweitschlüssel habe ich aber an der Frau, man weiß nie, vielleicht brennt oder säuft Herzbruchs die Wohnung ab in unserem Urlaub, es wäre bedauerlich aber das allermeiste vom Hausstand haben sie eh dabei, wir könnten dann in unserem Auto immerhin nach Hause fahren.

Vorher war noch ein fremder Herr auszuzocken, der im Halteverbot vor dem kleinen Bus stand und die Herzbruchs offenbar schon ausgespäht hatte, jedenfalls direkt den Rückwärtsgang einlegte, als Frau Herzbruch sich dem Wagen näherte, elegant drehte sie zu unserem Fahrzeug ab und wir fuhren davon, beobachteten und beratschlagten unauffällig aus dem Hauseingang eine Ecke weiter. Unsere Vermutung war, dass der Herr in den Gottesdienst gehen möchte, der um 8:30 Uhr begann. Bis dahin würde er warten, ob der kleine Bus sich wohl noch in Bewegung setzt oder ein anderer Parkplatz frei wird – falls nicht das Auto dann im Halteverbot stehen lassen. Genau so war es auch, um 8:28 Uhr setzte er sich Richtung Kirche in Bewegung, wir freuten uns sehr, dass er ein guter Gläubiger ist und wünschten ihm, dass zumindest für die Dauer des Gottesdienstes niemand vom Ordnungsamt vorbeikommt.

Gegen 9 Uhr hatten wir Airfryer, Kaffeemaschine und was man sonst so braucht (dieses Jahr keine Wasserkästen) verräumt und fuhren los. Ich als Beifahrerin. Ich bin beflissen, eine ganz besonders gute Beifahrerin zu sein, weil ich ja überhaupt nie fahren möchte, daher versuche ich, die Wünsche der Fahrperson schon zu antizipieren bevor sie geäußert werden. Zu 99 % gelang mir das, ich hatte Feuchttücher, Gebäck und – mein großer Moment – sogar eine Polsterung für die klappernde Getränkehalterung dabei, nur an einem einzigen Punkt hatte ich die Lüftung nicht perfekt eingestellt, so dass Frau Herzbruchs Bein warm wurde und sie selbst die Hand ausstrecken musste, um das Rädchen von 3 auf 5 hochzudrehen. Das tat weh.

Während der Fahrt hörten wir den „Alles Gesagt“-Podcast mit dem Astronauten, Name vergessen, nur die Moderatoren untereinander reden sich ständig mit Namen an, der Gast wird nicht mit Namen angesprochen, wie soll ich ihn mir also merken. Das All ist nichts für uns, beschlossen wir. Augenödeme, Übelkeit, mit den selben Leuten ein halbes Jahr verbringen und wenn die dann alle 9 Stunden am Stück reden, so wie der Herr Dingens, meine Güte. Ich verreise ja sowieso schon nicht so besonders gern. Ich bin zwar gern an anderen Orten und lerne gerne neue, fremde Dinge kennen aber gleichzeitig wäre ich gerne zu Hause, ist ja ein völliger Irrsinn, dass man sich die Wohnung schön und gemütlich macht, mit allem, das man benötigt, funktional und effizient einrichtet und dann fährt man in jeder freien Minute weg und muss in fremden Küchenschubladen nach dem Buttermesser suchen. Bar jeder Vernunft. Für mich wäre es gut, wenn wir in Zukunft nur noch virtuell reisen würden, mit entsprechenden Brillen, Anzug, Technik – das muss alles noch Fortschritte machen, bisher ist diese Technik fast beschwerlicher als eine physische Reise. Aber dann könnte ich in einem Raum ohne Sonne sitzen und das alles erleben, später lege ich die Technik ab, schmiere mir in der eigenen Küche ein Butterbrot und lege mich in mein eigenes Bett, vorher kann ich noch die Katzen füttern. Sicher wäre das auch für’s Klima viel besser, wobei: weiß ich nicht genau. Die Rechenzentren für so etwas verschlingen bestimmt auch viel Energie, die irgendwo her kommen muss. Ich bilde mir aber im Moment ein, es sei besser für das Klima als physisches Reisen, wenn man unsicher ist, kann man ja das annehmen, was der eigenen Haltung besser zupass kommt. So wie bei Online-Bestellungen, da frage ich mich auch manchmal, ob das sinnvoll ist, dass das Postauto mir so viele Pakete bringt und denke dann, dass es sicher nicht sinnvoller ist, wenn ich mit dem eigenen Auto zig Läden abfahre, um mir die Sachen entsprechend zu besorgen.

Naja, die Fahrt wer recht ereignislos, wir kamen gut durch und gut an und dann nicht ins Haus. Und die Vermieterin war nicht erreichbar. Nach 20 Minuten hatten wir eine Masterkey-Schlüsselbox identifiziert, 4 Rädchen von 1-9, also 10.000 Möglichkeiten, wenn man pro Möglichkeit eine Sekunde braucht, ist man in weniger als 3 Stunden durch, mit Pausen oder Personenwechsel vielleicht 4 Stunden, vor Mitternacht wären wir schon im Haus! Ich fing sofort an, war schon bei 1.400 als ich weggezerrt wurde Richtung Bar, die anderen wollten lieber auf einen Rückruf der Vermieterin dort warten. Schwierige Situation. Ich war sofort wieder angefixt wie in Wien bei Pokemon Go! Warum das aufgeben, wie toll wäre das denn, die Schüsselbox zu knacken und sei es durch simples Rädchendrehen? Was soll ich in einer Bar? Nun ja. Kurz vor Eingang der Bar rief die Vermieterin an und teilte den Code mit, ich sage mal so, ich hätte keine 20 Minuten mehr gebraucht.

Im Haus ging der Quest dann aber noch weiter, wir fanden ein paar Dinge nicht, die Vermieterin schickte Anweisungen (auf Französisch!) die so ungefähr besagten: oben gegenüber der Treppe ist ein normannischer Schrank, der Schlüssel zu diesem Schrank liegt in der Kammer links in einem Buch über Cotentin. Im Keller waren wir auch noch, dort kein Licht aber verschiedenste Türen, Dinge aus verschiedensten Jahrhunderten. Und ein Boot. Und alles ist irgendwie ein bisschen angeschmuddelt und feucht und alles ist voll mit allem. Und der Blick ist grandios, die Luft auch, wir werden es sehr schön hier haben.

Zum Abendessen gab es Baguette mit Butter und Käse an Cidre, nachts schauten wir Sternschnuppen, schliefen alle wunderbar, am nächsten Morgen, also heute, wachte ich mit einem Auge auf, das doppelt so groß war, wie das andere, vielleicht ein Augenödem, weil wir im Auto so viel mit Weltall gemacht hatten. Egal, Sonnenbrille drüber, so waren Frau Herzbruch und ich mehr als drei Stunden für genauso viele hundert Euro einkaufen, nun haben wir die Aufgabe, das alles aufzuessen und aufzutrinken und wir werden dieser Aufgabe gewachsen sein (auch wenn Herr Herzbruch, ausgerechnet, Zweifel hat)!