Heute bin ich müder als gestern, was nicht verwunderlich ist: gestern flog ich komplett auf Adrenalin ca. 3 Meter über meinem Körper, heute hingegen stehe ich wieder auf dem Boden und habe eine annähernd normale Hirnchemie (glaube ich).
Das war unbeabsichtigt eine interessante Überleitung, die heutige Frage aus der unverbindlichen Contentvorschlagliste lautet nämlich: „Wie gehen Sie mit Angst um?“
Nunja, wie jeder vernünftige Mensch natürlich: ich versuche ihr zu entgehen, ducke mich weg und will die Situation meiden oder aus ihr entfliehen. Wer würde das anders machen?
Manchmal geht das allerdings nicht, dann kommt man aus der Situation nicht weg oder kann sich nicht ducken. In der Regel, weil die zur Verfügung stehenden Alternativen im Rahmen einer Güterabwägung als Lösungsansätze ungeeignet sind und dementsprechend die Angst schlicht auszuhalten ist. Ich glaube, ich verhalte mich da aristotelisch nach der Lehre vom kleineren Übel. Theorie ist aber immer ein bisschen langweilig, daher wechsele ich jetzt zu praktischen Beispielen.
Beispiel 1: Flugangst
Ich hatte schon erwähnt, dass ich Flugangst habe. Der könnte ich entgehen, indem ich einfach nicht in ein Flugzeug steige. Privat gehe ich gerne so vor, ich plane meine Urlaube bevorzugt ohne Flugzeug. Aber eben auch nicht immer, wenn ich zum Beispiel meine Schwester in Schottland besuche, fliege ich.
Meine Flugangst äußert sich ungefähr so, dass ich erst einmal die Buchung an sich länger als für mich üblich aufschiebe und mit zittrigen Händen erledige, dann verdränge ich sofort erst einmal alles. Immer, wenn ich den Termine im Kalender sehe wird mir kurz schlecht, ein paar Tage vor dem Flug beginne ich, von Flugzeugabstürzen zu träumen und wenn ich mich selbst nicht beobachte recherchiere ich in freien Momenten Wahrscheinlichkeiten von Flugzeugabstürzen und überlege, ob es für mich eigentlich günstiger ist, dass irgendwo anders gerade ein Flugzeug abgestürzt ist (weil: der statistische nächste Absturz ist schon durch) oder ungünstiger (möglicherweise der Beginn einer durch Elektromagnetismus oder dergleichen verursachten Serie). Außerdem bin ich, wenn ich gedanklich nicht aufpasse, in den Tagen vor dem Flug immer kurz traurig, weil ich schöne Dinge zum vermeintlich letzten Mal erlebe. Am Tag des Fluges selbst übergebe ich mich nach dem Aufwachen (bei Flügen später am Tag eventuell auch erst später) und dann fühle ich mich halt scheiße und steige ins Flugzeug und wenn ich aussteige, spüre ich keine Erleichterung, weil ich sofort wieder etwas anderes mache und vergessen habe, dass ich gerade noch Angst hatte.
Alternativ zu diesem Angstablauf könnte ich mit Zug/Auto/Fahrrad oder so etwas zu meiner Schwester fahren, eine Fähre oder der Eurotunnel lassen sich aber nicht vermeiden. In diesen Tunnel bringt mich so schnell niemand, da fliege ich lieber. Und vor Fähren hab ich auch ein bisschen Angst, außerdem habe ich immer wenig Zeit, in der Abwägung passt mir das nicht so recht. Ich könnte meine Schwester einfach nie wieder besuchen, sie kommt ja auch öfters nach Deutschland, ein Familiendrama wäre das nicht. Diese Lösung stößt aber mit meinem Willen zusammen und zieht dabei den Kürzeren.
Beispiel 2: Telefonanrufe bei Ärzt*innen
Ich habe im Verlauf der letzten Jahren Angst vor Telefonanrufen bei Ärzt*innen erworben, die irgendwann während der Krankheit von Mama N. kulminierte und es mir fast unmöglich machte, diese Gespräche zu führen. Ich sage „fast“, weil es schon noch ging, aber ich musste mich danach (oder auch mal währenddessen) auf den Boden und in Schocklage legen. Das war nicht immer gut praktikabel und gefiel mir auch nicht.
Dieser Angst bin ich ausgewichen, indem ich mir Hilfe geholt habe – beim Ausweichen, nicht bei der Bearbeitung, das wäre in der Gesamtsituation nicht gut umsetzbar gewesen und ich ging auch davon aus, dass die Angst mit Auflösung dieser Gesamtsituation verschwinden würde. Die Hilfe waren Herzbruch und CucinaCasalinga, die diese Anrufe für mich erledigten.
Leider ging dieses Verfahren nicht wie erhofft auf, ich musste mich nämlich ein paar Monate später dann auch bei Anrufen von Herzbruch oder CucinaCasalinga manchmal auf den Boden legen und simple Dinge wie die Vereinbarung eines Zahnreinigungstermins wurden ebenfalls schwierig.
Immerhin: mit Auflösung der Gesamtsituation hatte ich mehr Zeit mich mit der Thematik zu befassen und auch an dieser Stelle traf die Angst wieder auf meinen Willen: ich will selbst bei Ärzt*innen anrufen können. Und wenn das nur geht, in dem ich Angst aushalte und das wiederum nur auf dem Fußboden in Schocklage geht, dann muss es wohl so sein, dann muss ich liegend telefonieren. Das habe ich also eine Weile so praktiziert und dann fand ich es blöd und bin wieder aufgestanden. Jetzt geht es meistens (ich bin noch nicht ganz da, wo ich hin will, aber fast) wieder normal und ohne Angst.
Fazit: ich gehe mit Angst um, indem ich ihr ausweiche oder sie aushalte. Keine Ahnung, warum diese simple Feststellung so ein langer Text geworden ist.
weil diese simple Feststellung voller Mut ist – und der braucht halt Platz.
Die Feststellung an sich?