Ich sortiere gern und räume gerne auf, ordne Schränke, dergleichen, das ist bekannt. Ich bin eine Person, die man zu sowas einladen kann oder auch auf einer Party spontan in eine Kammer zum Durchsortieren führen kann, wenn man das will, und eine Stunde später komme ich wieder raus und alles ist schick. Mir macht das Spaß, ich mache das auch zu Hause ständig, zur Entspannung. Normalerweise.
Hier wurde jetzt aber länger nichts aussortiert, gut, der Badezimmerschrank mal kurz, nachdem mir etwas auf den Kopf fiel, aber eher huschhusch nebenher, ohne Konzentration und ohne die übliche Freude daran. Ich hatte viel um die Ohren, ich war viel unterwegs, es war zu warm, es waren dringlichere Sachen, das alles ist zutreffend, aber nicht der Grund. Das habe ich gerade festgestellt, als ich – nachdem Frau Herzbruch mir von Mottenbefall in ihrer Küche berichtet hatte und ich gestern dann auch eine vereinzelte Motte bei mir durch die Wohnung fliegen sah – heute anlassbezogen die Küchenschränke mit dem „Trockenzeugs“ drin, also Mehle, Nüsse, Saaten, Flocken, Gewürze, in einem Rutsch ausräumte, zum Sortieren.
Der Grund ist, dass noch so viel dranhängt. Die griechische Kräutermischung für Grillkäse? Im Sommer gekauft kurz bevor Mama N. ins Krankenhaus kam, dann nicht mehr zum Grillen gekommen. Die Mandeln und Nelken? Zum Backen für Lebkuchen gekauft vor Weihnachten, aber dann kam Mama N. wieder ins Krankenhaus und niemand wollte mehr Lebkuchen backen. Die Walnusspaste? War für eine Torte gedacht, als Papa N. hier wohnte aber dann mussten wir Hals über Kopf zurück wegen Notfall. Und so weiter. Meine ganze Küche, vermutlich meine ganze Wohnung (weiter habe ich jetzt erstmal noch nicht gedacht, sonst platzt mir noch der Kopf) ist voll mit schönen Plänen und Ideen und Hoffnungen, die gescheitert sind. Das ist doch scheiße. Ich bin beschädigter, als ich dachte.
Also habe ich gleich noch mit ein paar anderen Schränken weitergemacht und so gab es heute zum Abendessen Rotkohl und Klöße ganz kurz nach Ablaufdatum (8/2023), war eigentlich als Weihnachtsessen geplant aber Weihnachtsessen fiel ja aus. Mal gut, dass wir keine Würstchenkartoffelsalatweihnachtstradition haben, das hätte sich schlechter gehalten.
Alles, was man essen kann, ist jetzt sortiert. Ich habe keine Motten oder Vorstufen davon gefunden, die vereinzelte kam wohl von draußen. Auf der Küchenarbeitsplatte steht jetzt ein Korb mit allem, was in den nächsten 2 Monaten abläuft eine vereinzelte ältere Tomatenmarktube oder Kokosmilchdose, die sich widerspenstig hinter den neueren versteckt hatten und dergleichen, das können wir locker rechtzeitig wegessen. Wenn ich Schränke öffne, sieht es sehr schön aus und ich freue mich sehr und ich bin sehr traurig.
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Das macht mich auch so traurig. Würde Dir gerne was tröstendes schreiben. Alles klänge entweder esoterisch oder religiös, das geht nicht. Aber solange niemand sicher weiß, dass man sich nicht wiedersieht würde ich das einfach mal nicht ausschließen!!! Der Tod ist scheisse. Stammel. Sende gute Gedanken.
Ach man….alles kacke.
Ein sehr schöner Text, vielen Dank. Und ich sehe gerade vor meinem geistigen Auge die manchmal vergruschtelten Wohnungen älterer Menschen: vermutlich hängt an jedem Stück ein Verlust.
Oh, ich kenne das nur zu gut. Und ich kann versichern, dass, wie alle sagen, es besser wird. Man kommt nie so richtig darüber hinweg, das nicht, aber der Schmerz verliert seine scharfen Kanten.
Und ich denke heute noch an den Freund, mit dem ich nach dem Tod meines Vaters sprach. Ich berichtete von meiner tiefen Trauer, und er erwiderte, dass der Tod seiner Eltern ihn nicht weiter berühren würde, denn zu viel war vorher geschehen. Und mir wurde klar, dass mein Verlust in Wahrheit ein Geschenk war. It’s better to have loved and lost, indeed.
Danke für den schönen Text, ich kann das so gut nachfühlen. Ich nenn es Schubladeritis, mir hilft es, wilde Gedanken, stürmische Gefühle und Stehrümmchen zu sortieren. Aber wie oft ist dann so ein Ding dabei, das dich völlig unerwartet mitten ins Herz trifft.
:((
danke für den Text und für alle Kommentare. Bin auch gerade dabei, und die Gedanken helfen mir, meine diversen Gefühle zu sortieren.