Liebes Tagebuch, heute wurde meine lateinische Aussprache kritisiert, von einem ca. 100-jährigen Mann aus dem Umfeld einer Kirchengemeinde, es kann auch sein, dass er noch viel älter war und wirklich aus eigener muttersprachlich-lateinischer Erfahrung sprach, ich kann Alter immer nur sehr schlecht schätzen. Ich bin nun in einer speziellen Situation: Kritik nehme ich normalerweise gerne an, um Dinge zu verbessern. Gleichzeitig halte ich es für komplett ausgeschlossen, dass ich auch nur eine Minute Zeit in die Beschäftigung mit meiner lateinischen Aussprache investiere. Es gibt also einen Makel und es wird dabei bleiben, in vollem Bewusstsein, aus freier Entscheidung. Das muss man auch erstmal aushalten lernen.
Auszuhalten gab es heute für mich so einiges. Ich hatte gehofft, der Schreibtisch könnte heute in hoher Schlagzahl aber dabei entspannt (weil es vorwärts geht) leer geräumt werden. Das war nicht so, bei weitem nicht. Statt dessen gab es Zwischenfälle.
Ein Zwischenfall betraf eine Person, die immer wieder in derselben Angelegenheit scheitert und dabei auch immer wieder genau gleich vorgeht. Stellen Sie sich das ungefähr so vor, da stellt jemand die Kaffeetasse nach dem ersten Schluck immer 5 cm vor dem Schreibtisch in der Luft ab. Sie fällt zu Boden, der Kaffee läuft aus und die Person ärgert sich, verständlicherweise. Beim nächsten Kaffee passiert genau dasselbe wieder. Und beim übernächsten auch. Die Person ist sehr traurig, sucht Rat, ich schaue mir den Ablauf an und schlage vor, die Tasse 5 cm weiter bis über den Schreibtisch zu bewegen. Das sieht die Person aber nicht ein. Sie möchte die Tasse genau dort abstellen, wo sie sie abstellt. Natürlich kann man auch noch andere Parameter verändern, z.B. den Schreibtisch verrücken, eine Haltevorrichtung am Schreibtisch montieren, von der Decke eine Vorrichtung hinunterlassen, die Kaffeetassen trägt, eine weitere Person beauftragen, die fallende Tasse immer noch rechtzeitig aufzufangen – es gibt ganz viele Möglichkeiten. Ihnen allen gemein ist, dass etwas verändert wird. Die kaffeetrinkende Person möchte nichts verändern, sie möchte, dass das Abstellen der Kaffeetasse mit völlig unveränderten Parametern gelingt und sie möchte sich auch nicht von der Hoffnung dieses Gelingens verabschieden. Für mich, ich gebe es zu, schwer auszuhalten. Ich übe.
Weiter musste ich aushalten, dass verschiedene Personen sich bei mir für etwas entschuldigen wollten, das mich gar nicht betraf, die Entschuldigung gehört an eine andere Stelle, ich hatte nur nach einer Erklärung gefragt. Dass immer alles so unfassbar kompliziert sein muss! Person B antwortet z.B. Person A nicht auf eine relevante Frage, nicht einmal nicht sondern andauernd nicht. A kommt mit dieser Thematik nicht weiter, ist verzweifelt, wendet sich an mich. Also frage ich bei B nach, wie es dazu kommt, dass A keine Antwort erhält. Zunächst sagt B dann (völlig generische Reaktion über Jahre und unterschiedliche Menschen immer wieder beobachtbar), es sei „vergessen worden“. Das ist aber ja kaum vorstellbar, meine Phantasie reicht jedenfalls nicht, da A häufig, bis zu mehrmals täglich, nachfragt.
Ich frage weiter, meist ist die Antwort dann „ich weiß nicht, warum ich das so gemacht habe aber es kommt nicht wieder vor“. Das ist natürlich Quatsch, denn wenn man nicht weiß, wie es zu einem Vorfall kam, wie kann man dann Sorge tragen, dass er nicht mehr vorkommt? Das ist dann reine Glückssache, ich hätte es doch lieber verlässlicher, also bitte ich, doch nochmal genau nachzudenken, ich würde ein paar Denkanregungen geben: ob man vielleicht keine Lust hatte (was nicht akzeptiert wäre, weil es sich um eine Aufgabe im Rahmen eines bezahlten Arbeitsverhältnisses handelt), ob man sich der Prioritäten nicht gewahr war, in welchem Fall ich gerne beratend zur Seite stehe, ob man die andere Person einfach ärgern wollte, was mich dann besonders interessiert, weil ich auch ganz gerne mal Personen ärgere und mir in diesem Fall B vormerken würde für solche Fälle. Es handelt sich dann offensichtlich um von uns beiden akzeptiertes Verhalten und ich halte es für ethisch besser vertretbar, wenn mir nach Ärgern ist immer B zu ärgern als wahllos irgendeine Person, die solche Spiele nicht selbst treiben möchte. Und so weiter. Die Person B trifft in der Regel keine Auswahl aus meinen Erklärungsangeboten, dennoch tritt die Verhaltensweise nicht weiter auf. Es ist ein Mysterium und ich muss aushalten, es nicht ergründen zu können.
Frage in der täglichen unverbindlichen Contentvorschlagliste heute: Notizen digital oder analog. Kann ich ganz klar seit heute beantworten, nämlich die wirklich wichtigen Notizen analog in einem schwarzen Büchlein, das immer an derselben Stelle auf dem Schreibtisch liegt, der nOC hat mir nämlich gerade heute mitgeteilt, dass es ihn unfassbar nervt, wenn er mich unangekündigt zu einer beliebigen Zeit anruft und nach etwas fragt, das wir vor einem halben Jahr mal ganz kurz angerissen haben und dann muss ich mehrere Minuten nach der Information kramen, in meinem Kopf oder in meinem Computer oder in irgendwelchen Zetteln. Diese Zeit hat er nicht nur nicht sondern möchte er auch nicht haben. Habe ich verstanden, deshalb ließ ich mir sofort das Notizbuch bringen, es ist ein Hardcover, man kann damit auch zuschlagen. Wir werden sehen, wie das läuft.
Ansonsten mache ich nicht viele Notizen. Machen Sie Notizen? Wofür? Ich mache ja auch keine Backups, weil ich nicht wüsste, wovon. Beruflich werden Backups für mich gemacht, das ist was anderes, aber ich schreibe privat überhaupt keine Dinge, die es aufzubewahren gälte. Ich fotografiere auch nicht, ich sammele weder Musik noch Filme. Ich wüsste wirklich nicht, was ich speichern, aufbewahren, notieren sollte. Ich habe noch nichtmals ein Adressbuch. Was ich einmal gedacht habe, muss ich nicht nochmal denken, was ich einmal gelesen habe, muss ich nicht nochmal lesen, was ich einmal gesehen habe, muss ich nicht nochmal sehen. Wenn es weg ist, mache ich halt was anders, was Neues, Ich mache sowieso was anderes, was Neues, auch, wenn das Alte noch da ist. Ich habe doch keine Zeit, mir dieselben Sachen immer wieder anzuschauen, wozu soll das gut sein, wenn es so vieles gibt, das ich noch gar nicht kenne und die Zeit sowieso nicht ausreicht, alles zu erleben?
Ich bin etwas abgeschwiffen von den Notizen. Aber das ist auch etwas, das man aushalten muss. Die mangelnde Zeit und das Abschweifen.
Vielleicht verstehe ich die Kaffeetassen-Person: Sie möchte, dass sich die Welt ändert, und zwar in einen besseren Zustand. Das beobachte ich an mir im Umgang mit Menschen: Ich erkläre bestimmte Sachverhalte immer wieder und jedesmal erfolglos auf der Sach- und Vernunftebene. Statt lösungsorientiert eine andere Ebene zu versuchen, beharre ich darauf, dass die Menschen endlich empfänglich für meine werden, sich also existenziell zum (wie ich überzeugt bin) Besseren ändern.
Das extrem unvernünftig, aber so sind wir.
Ich versteh sie auch und ich weiß, dass die Verzweiflung echt ist und dass das Beharren mit Idealismus oder Hoffnung oder dem Glauben, dass es eine realistische Möglichkeit gibt, dass alles perfekt sein könnte. Es ist eine Haltung mit vielen Werten dahinter. Ich selbst leiste mir diese Haltung nicht, frage mich durch solche Erlebnisse manchmal, ob ich sie mir häufiger leisten müsste oder sollte. Meinen (beruflichen) Auftrag sehe ich nicht darin, Dinge perfekt zu machen sondern Dinge im Rahmen des Erträglichen gut funktionierend zu machen. Ich frage mich häufiger, ob ich das Streben nach der perfekten Lösung zu früh aufgebe, ob ich es mir zu leicht mache, wobei es leicht auch gar nicht ist, der Preis ist eine große Zerrissenheit.
Der Preis, die von der Existenz gesetzte Zerrissenheit zu verdrängen, ist noch viel höher, als die Zerrissenheit selbst es je sein könnte. Ein Schuh aus Beton, im Gegensatz zu den kalten Nadelstichen von Nieselregen im Gesicht im Jänner bei knapp über null Grad und schlechter Kleidung. Ohne Mütze oder Hut. Mit 2 Stunden Marsch vor sich. Diesen Zustand kann man ertragen, irgendwie, Er wird ein Ende haben, so oder so, während das Sinken mit schwerem Gepäck die Aussicht auf ein baldiges Auftauchen sehr unwahrscheinlich werden läßt. Und dann kommt der Zeitpunkt ins Spiel! Wann im Leben man versucht, perfekt zu sein und wie umfassend es sich selbst verklickert werden muss.
Wenn sie nicht fotografieren, wie halten sie es überhaupt mit Fotos? Wo kommen die Bilder für das Fotobuch her? Sind Ihnen Fotos wichtig?
Ich habe natürlich Bilder. Ich fotografiere nur nicht als Hobby, mache die Bilder nicht schön, ordne sie nicht und schaue sie auch so gut wie nie an. Ich „knipse“ ab und zu was, als ich mit Frau Herzbruch in Wien war habe ich z.B. insgesamt 4 Fotos gemacht. Alles, was Herr N, M oder ich fotografieren lädt in eine gemeinsame Cloud hoch, daraus entsteht das Fotobuch. Fotos an sich sind mir nicht wichtig, ein paar möchte ich gern haben, z.B. von als M klein war oder von meiner ersten Katze, als ich ein Kind war, von meinen Eltern und so. Dafür sind die Fotobücher (die immer für 3 Haushalte ausgefertigt werden, also gewissermaßen ist da ein „Backup“ vorhanden).
Noch nicht mal eine Einkaufsliste, oder fällt das dann nicht unter Notizen.
Sehr interessante Punkte in den Kommentaren zur Kaffeetassenperson, von allein wäre ich nie auf den Gedanken gekommen, dass DAS mögliche Gründe sein könnten.
Einkaufsliste teilen wir zu dritt als App. Ich lege mir auch manchmal einen Zettel auf den Tisch, wenn ich am nächsten Morgen an etwas denken möchte. Heute liegt da z.B. ein Zettel „Fragmente Plätzchen“, weil ich ihr morgen bei einem Kaffee Plätzchen übergeben möchte und da muss ich die mitnehmen. Manchmal schicke ich mir Mails ins Büro, wenn ich auf dem Rückweg von dort etwas machen möchte, gerade habe ich mir selbst eine Mail mit „Weihnachtsbaumständer“ geschickt, damit ich den morgen auf dem Heimweg aus dem Keller mitnehme. Reminderartige Notizen habe ich also, in sehr wechselnder Form, je nachdem, wie sie mich am besten erreichen werden. Ich hatte Notizen anders verstanden, notizbuchartige Notizen über das Leben an sich (oder was weiß ich, ich wusste es ja eben nicht) 😉
Mein Gott wie spannend! Auch auf DEN Gedanken (Noitzen=Tagebuchartige Einträge) wäre ich nicht gekommen. Kommunikation ist wirklich faszinierend.
Ich dachte halt es sind so „wichtige“ Notizen gemeint, irgendwas von Bedeutung. Sowas habe ich nicht.