6. Februar 2024

Aufgewacht mit klarem Kopf und völlig schmerzfrei, was für ein absolut wunderbares Gefühl! Nur ein wenig früher als erhofft, nämlich um 20 nach 5, obwohl ich erst um 8 Uhr aufstehen musste. Ich vertrieb mir die Zeit mit Dingen wie Nägel lackieren, Tee trinken, Katze bürsten.

Überpünktlich traf ich auch beim Friseur ein, bekam guten Kaffee und ging mit in den Keller, um die defekte Gastherme anzuschauen und kluge Sprüche zu schwingen. Das Haus ist sehr alt, die Gastherme auch, ich habe häufig den ersten Termin morgens, die Situation, dass das Ding nicht anspringt, ist mir also gut bekannt. Ich kenne auch schon den Namen des Vermieters und den Sohn des Vermieters, der dann immer schnell mit einem Werkzeugkoffer kommt. Bisher ging es jedes Mal gut und mir konnte mit warmem Wasser das Haar gewaschen werden. Auch heute hatte ich Glück, wobei ich denke, dass die Farbe für die Strähnchen etwas länger als üblich einwirkte. Ich habe nicht auf die Uhr geschaut, es wirkt halt optisch sehr sommerlich.

Das soll keine Klage sein, ich bin sehr glücklich mit dem Ergebnis, wie immer, ich gehe einfach unfassbar gerne zum Haareschneiden, hätte es am liebsten, wenn mir jeden Morgen irgendwer den nachgewachsenen Viertelmillimeter abschneiden würde.

Achso, ich kann jetzt wieder aufhören, „unfassbar“ zu sagen. Wir hatten ein kleines Experiment im Büro. Nur aus Spaß, vielleicht auch edukativ, ich zeige ja immer gern, wie Machtübernahme geht und mit einer kleinen Gruppe Menschen, mit mir vier Personen, ging es darum, wie Sprache beeinflusst werden kann. Eine aus dieser Gruppe sagt sehr oft „unfassbar“ und wir suchten uns dieses Wort aus, in dem Ansinnen, es so häufig zu verwenden, dass andere mitgerissen werden. Um den Erfolg oder Misserfolg besser beurteilen zu können, zählten wir vorher eine Woche lang, wie oft uns das Wort im Bürokontext begegnet. Es war nur sehr vereinzelt der Fall. Dann bemühten wir uns, als Verstärker ausschließlich nur noch „unfassbar“ zu sagen und zu schreiben, wann immer es sich anbot. Das Experiment begann zum neuen Jahr. Mittlerweile hören wir „unfassbar“ mehrmals täglich und allein heute sagte der Chef es in einer kleinen (zugegeben: unerfreuten) Ansprache zweimal innerhalb von wenigen Minuten. Ich denke, der Punkt ist gemacht. Jetzt kann ich wieder unglaublich, unwahrscheinlich, ungewöhnlich und überaus als Verstärker benutzen. Muss mir nur das „unfassbar“ erst wieder abgewöhnen.

Während ich beim Friseur saß, klingelte ständig mein Telefon, irgendwann antwortete ich dann und es war das Büro, das mir mitteilte, der Chef wolle mich enorm dringend bei allernächster Gelegenheit persönlich sprechen. Das ist eine ungewöhnliche Situation, meistens will ich ihn unbedingt bei allernächster Gelegenheit persönlich sprechen. Ich überlegte, ob ich möglicherweise irgendwas angestellt hatte, mir fiel aber beim besten Willen nichts ein. Ich hatte gar keine Zeit in den letzten Wochen, Grenzen auszutesten. Auch ein untragbarer Zustand. Wie soll irgendwas weitergehen, wenn ich alles immer mache, wie gehabt? Ich muss wieder mehr Zeit zum Ausprobieren finden.

Der Nachmittag verging vergnüglich, eine Mitarbeiterin war krank, ihre Kollegin ist noch ganz neu, ich setzte mich also zu ihr in den Raum, damit sie jemandem zum Fragenstellen hat, ab dem späten Nachmittag sitzt in dem Raum auch noch eine studentische Aushilfe, die ich sehr gerne mag, es ging sehr lebhaft zu und ich war fast etwas traurig, als ich abends aufbrechen musste zum Chor, nicht zur Probe, sondern um dort der Kassenprüfung beizuwohnen und anschließend die Buchhaltung zu übernehmen. Das ist nun also auch erledigt.

Frage in der täglichen unverbindlichen Contentvorschlagliste (übrigens bis auf Weiteres die letzte) heute: „Sie scheinen nie unsicher zu sein, sagen „man muss sich entscheiden“ – aber wenn ich mich zu schnell entscheide, ist das Ergebnis oft mies – kennen Sie das Gefühl von Ambivalenz überhaupt?“

Naja. Vielleicht übersehen Sie, dass es auch eine Entscheidung ist, sich nicht zu entscheiden?

Ich bin nie sicher. Nie. Ich bin immer ambivalent, ich möchte fast sagen multivalent.

Nicht sicher zu sein, ist völlig normal. Wenn eine Entscheidung sicher getroffen werden könnte, gäbe es nichts zu entscheiden, es wäre ja ganz klar, welche Variante wir wählen, andernfalls wären wir ziemlich blöd. Echte Entscheidungen sind nur solche, bei denen Ambiguität besteht. Es ist nicht möglich, diese Entscheidungen mit dem zur Verfügung stehenden Wissen sachlich-logisch sicher korrekt zu entscheiden. Uns fehlen Informationen, wir müssen Annahmen über die Zukunft treffen. Es gibt da keine Sicherheit. Wir tun das nach bestem Wissen und Gewissen und hoffen, dass es gut ausgeht.

Wenn es gut wird, freuen wir uns, wissen aber nicht, ob die Alternative nicht eventuell noch besser gewesen wäre, ist uns aber auch meistens egal, es ist ja alles gut. Wenn es mies wird, wissen wir nicht, ob die Alternative nicht noch katastrophaler verlaufen wäre, interessanterweise tendieren wir in diesem Fall dazu, fest anzunehmen, dass es besser geworden wäre, wenn wir uns nur anders entschieden hätten und uns für eine Fehlentscheidung zu zerfleischen. Und das, obwohl wir die andere Realität nie erlebt haben, nie erleben können, nie wissen können, ob sie wirklich besser gewesen wäre. 

Vielleicht ist der Punkt, der Sie umtreibt, nicht Ihre Unsicherheit in Entscheidungssituationen sondern Ihr Umgang mit dem Zustand danach: für etwas verantwortlich zu sein, das nicht zur Glückseligkeit für alle geführt hat.

Ich bin nicht sicherer, ich verweigere mich nur der inneren Selbstzerstörung. Ich entscheide mit allem, was ich habe, so gut, wie ich es im entsprechenden Moment kann und immer nach meiner Überzeugung, nie nach dem, was andere erwarten. Deshalb muss ich mir auch später nie „hätte ich doch, ich wusste es doch…“ denken, denn wenn ich gewusst hätte, hätte ich ja. Mehr ging nicht, mehr geht nicht.

14 Kommentare zu „6. Februar 2024“

  1. Das mit der Contentvorschlagsliste finde ich spannend. Ich habe vor ein paar Wochen etwas in den April eingetragen und das war nach meiner Erinnerung der nächste freie Slot.
    Hat da wer redigiert?

    1. Da wird immer mal gelöscht und geschoben, manchmal auch sehr kurzfristig, ich hatte einmal schon angefangen zu schreiben und dann stand da plötzlich was anderes 🙂

  2. Tatsächlich war Ende letzten Jahres alles voll mit Fragen, ich hatte meine deshalb erst für diesen März vormerken können. Nun sind diese Fragen (samt meiner) alle weg.

    1. Sie können sie jetzt neu reinschreiben 🙂

      (ich – und auch andere – kopieren manchmal Blöcke um, vom letzten Jahr auf dieses und so weiter, kann sein, dass da was schief gegangen ist. Auch ich – andere weiß ich nicht – löschen manchmal allzu langweilige Dinge wie „was ist 1+1, aber ich nehme mal an, das war nicht Ihre Frage)

  3. Allmählich werden Sie zu sowas wie meiner geheimen Coach. Ich profitiere jedenfalls sehr von Ihren Argumentationen und bin ganz gelichtet davon. Vielen Dank!

    1. Naja, dass ist lediglich MEINE Auffassung der Dinge. Das ist bestimmt bei allen sehr unterschiedlich, ich höre mir gerne auch andere Ansichten dazu an.

      1. Ich betrachte Sie auch als meinen geheimen Coach, gerade weil Ihre Auffassung oft so anders als meine ist, ich lese Ihre Erläuterungen immer mit großem Gewinn.

  4. was war denn jetzt mit dem chef? das ist ja ein bisschen ein cliffhanger hier.
    und: schade dass es die vorerst letzte contentvorschlagslistenbeantwortung war. habe diese immer sehr gerne gelesen!

    1. Es war überhaupt nix. Andere geraten immer komplett in Aufregung, wenn sie mit ihm sprechen und übermitteln diese Aufregung dann mit. Die Dringlichkeit war rein zeitlich, weil er danach für mehrere Tage verreist ist.

      Zu der Liste: schreiben Sie halt einfach was rein.

  5. Interessant und aufschlussreich, das „unfassbar“-Experiment!
    Ansonsten hoffe ich auf baldigen Fragen-Nachschub (ich habe im Moment keine dringende, lese Ihre Antworten aber oft mit Genuss und Erkenntnisgewinn).

  6. In Entscheidungssituationen meldet sich mitunter das schlechte Gewissen, weil man es versäumt hat, Informationen einzusammeln, die einem nun fehlen, um eine gute Entscheidung zu treffen. Das kann unangenehm sein, und das merken natürlich auch diejenigen, die von der Entscheidung betroffen sind.
    Hat man aber an der Stelle seine Hausaufgaben gemacht, ist Entscheidungen treffen etwas zutiefst Befriedigendes. Zumindest empfinde ich es so.

    1. Verstehe ich nicht so richtig. Wenn ich merke, dass ich Informationen noch bekommen kann aber vergessen habe, sie einzuholen, warum hole ich sie mir dann nicht noch?

      1. Manchmal stelle ich nach einer Entscheidung fest, dass ich nicht am der richtigen Stelle gefragt/zugehört habe und dann kann ich ja nicht mehr nachfragen.
        Aber auch dann – vermutlich sollte ich mich eher fragen, warum ich nicht nachgefragt habe, wie ich es das nächste Mal besser machen kann etc.

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