Februar 2024

6. Februar 2024

Aufgewacht mit klarem Kopf und völlig schmerzfrei, was für ein absolut wunderbares Gefühl! Nur ein wenig früher als erhofft, nämlich um 20 nach 5, obwohl ich erst um 8 Uhr aufstehen musste. Ich vertrieb mir die Zeit mit Dingen wie Nägel lackieren, Tee trinken, Katze bürsten.

Überpünktlich traf ich auch beim Friseur ein, bekam guten Kaffee und ging mit in den Keller, um die defekte Gastherme anzuschauen und kluge Sprüche zu schwingen. Das Haus ist sehr alt, die Gastherme auch, ich habe häufig den ersten Termin morgens, die Situation, dass das Ding nicht anspringt, ist mir also gut bekannt. Ich kenne auch schon den Namen des Vermieters und den Sohn des Vermieters, der dann immer schnell mit einem Werkzeugkoffer kommt. Bisher ging es jedes Mal gut und mir konnte mit warmem Wasser das Haar gewaschen werden. Auch heute hatte ich Glück, wobei ich denke, dass die Farbe für die Strähnchen etwas länger als üblich einwirkte. Ich habe nicht auf die Uhr geschaut, es wirkt halt optisch sehr sommerlich.

Das soll keine Klage sein, ich bin sehr glücklich mit dem Ergebnis, wie immer, ich gehe einfach unfassbar gerne zum Haareschneiden, hätte es am liebsten, wenn mir jeden Morgen irgendwer den nachgewachsenen Viertelmillimeter abschneiden würde.

Achso, ich kann jetzt wieder aufhören, „unfassbar“ zu sagen. Wir hatten ein kleines Experiment im Büro. Nur aus Spaß, vielleicht auch edukativ, ich zeige ja immer gern, wie Machtübernahme geht und mit einer kleinen Gruppe Menschen, mit mir vier Personen, ging es darum, wie Sprache beeinflusst werden kann. Eine aus dieser Gruppe sagt sehr oft „unfassbar“ und wir suchten uns dieses Wort aus, in dem Ansinnen, es so häufig zu verwenden, dass andere mitgerissen werden. Um den Erfolg oder Misserfolg besser beurteilen zu können, zählten wir vorher eine Woche lang, wie oft uns das Wort im Bürokontext begegnet. Es war nur sehr vereinzelt der Fall. Dann bemühten wir uns, als Verstärker ausschließlich nur noch „unfassbar“ zu sagen und zu schreiben, wann immer es sich anbot. Das Experiment begann zum neuen Jahr. Mittlerweile hören wir „unfassbar“ mehrmals täglich und allein heute sagte der Chef es in einer kleinen (zugegeben: unerfreuten) Ansprache zweimal innerhalb von wenigen Minuten. Ich denke, der Punkt ist gemacht. Jetzt kann ich wieder unglaublich, unwahrscheinlich, ungewöhnlich und überaus als Verstärker benutzen. Muss mir nur das „unfassbar“ erst wieder abgewöhnen.

Während ich beim Friseur saß, klingelte ständig mein Telefon, irgendwann antwortete ich dann und es war das Büro, das mir mitteilte, der Chef wolle mich enorm dringend bei allernächster Gelegenheit persönlich sprechen. Das ist eine ungewöhnliche Situation, meistens will ich ihn unbedingt bei allernächster Gelegenheit persönlich sprechen. Ich überlegte, ob ich möglicherweise irgendwas angestellt hatte, mir fiel aber beim besten Willen nichts ein. Ich hatte gar keine Zeit in den letzten Wochen, Grenzen auszutesten. Auch ein untragbarer Zustand. Wie soll irgendwas weitergehen, wenn ich alles immer mache, wie gehabt? Ich muss wieder mehr Zeit zum Ausprobieren finden.

Der Nachmittag verging vergnüglich, eine Mitarbeiterin war krank, ihre Kollegin ist noch ganz neu, ich setzte mich also zu ihr in den Raum, damit sie jemandem zum Fragenstellen hat, ab dem späten Nachmittag sitzt in dem Raum auch noch eine studentische Aushilfe, die ich sehr gerne mag, es ging sehr lebhaft zu und ich war fast etwas traurig, als ich abends aufbrechen musste zum Chor, nicht zur Probe, sondern um dort der Kassenprüfung beizuwohnen und anschließend die Buchhaltung zu übernehmen. Das ist nun also auch erledigt.

Frage in der täglichen unverbindlichen Contentvorschlagliste (übrigens bis auf Weiteres die letzte) heute: „Sie scheinen nie unsicher zu sein, sagen „man muss sich entscheiden“ – aber wenn ich mich zu schnell entscheide, ist das Ergebnis oft mies – kennen Sie das Gefühl von Ambivalenz überhaupt?“

Naja. Vielleicht übersehen Sie, dass es auch eine Entscheidung ist, sich nicht zu entscheiden?

Ich bin nie sicher. Nie. Ich bin immer ambivalent, ich möchte fast sagen multivalent.

Nicht sicher zu sein, ist völlig normal. Wenn eine Entscheidung sicher getroffen werden könnte, gäbe es nichts zu entscheiden, es wäre ja ganz klar, welche Variante wir wählen, andernfalls wären wir ziemlich blöd. Echte Entscheidungen sind nur solche, bei denen Ambiguität besteht. Es ist nicht möglich, diese Entscheidungen mit dem zur Verfügung stehenden Wissen sachlich-logisch sicher korrekt zu entscheiden. Uns fehlen Informationen, wir müssen Annahmen über die Zukunft treffen. Es gibt da keine Sicherheit. Wir tun das nach bestem Wissen und Gewissen und hoffen, dass es gut ausgeht.

Wenn es gut wird, freuen wir uns, wissen aber nicht, ob die Alternative nicht eventuell noch besser gewesen wäre, ist uns aber auch meistens egal, es ist ja alles gut. Wenn es mies wird, wissen wir nicht, ob die Alternative nicht noch katastrophaler verlaufen wäre, interessanterweise tendieren wir in diesem Fall dazu, fest anzunehmen, dass es besser geworden wäre, wenn wir uns nur anders entschieden hätten und uns für eine Fehlentscheidung zu zerfleischen. Und das, obwohl wir die andere Realität nie erlebt haben, nie erleben können, nie wissen können, ob sie wirklich besser gewesen wäre. 

Vielleicht ist der Punkt, der Sie umtreibt, nicht Ihre Unsicherheit in Entscheidungssituationen sondern Ihr Umgang mit dem Zustand danach: für etwas verantwortlich zu sein, das nicht zur Glückseligkeit für alle geführt hat.

Ich bin nicht sicherer, ich verweigere mich nur der inneren Selbstzerstörung. Ich entscheide mit allem, was ich habe, so gut, wie ich es im entsprechenden Moment kann und immer nach meiner Überzeugung, nie nach dem, was andere erwarten. Deshalb muss ich mir auch später nie „hätte ich doch, ich wusste es doch…“ denken, denn wenn ich gewusst hätte, hätte ich ja. Mehr ging nicht, mehr geht nicht.

5. Februar 2024 – WmdedgT

(Alles zu WmdedgT wie immer bei Frau Brüllen)

Wahnsinn, wie ein Tag gleichzeitig total vollgestopft und unfassbar langweilig sein kann.

Ich wachte erst einmal um 5 Uhr mit Kopfschmerzen auf, nahm ein Medikament und legte mich wieder ins Bett. Dann wachte ich um 20 nach 6 wieder auf, mit unterdrückten Kopfschmerzen, um halb 7 sollte der Wecker klingeln, also blieb ich gleich wach und versuchte, die Kopfschmerzen wegzuduschen. Übliches Morgenzeugs wie Katzenklos, dem Kind einen Kaffee machen, Kleidung raussuchen – ich wollte heute etwas höhere Schuhe im Büro tragen, packte deshalb noch Turnschuhe für die Demo später ein.

Es gab Gedöns mit der Bahn, um 20 nach 8 war ich am Arbeitsplatz, ging kurz die Tätigkeiten durch und stellte eine Liste der unabdingbaren Tätigkeiten und eine der „wäre schon echt gut weil sonst sehr erkärungsbedürftig“-Tätigkeiten auf und, naja, dann arbeitete ich wie besessen Dinge ab.

Ein paar Besprechungen waren auch dabei, ein paar Leute musste ich wegschicken, weil ich heute wirklich keine Zeit hatte, mir Jammern als Selbstzweck anzuhören. Manches fügte sich sehr elegant, Personen, mit denen ich noch Themen hatte, kamen von selbst vorbei, so dass ich keine Zeit aufwenden musste, mich mit ihnen zu verabreden, zweimal wurde ich sehr deutlich und tatsächlich war ich gegen 16 Uhr so weit, dass ich meine Liste nochmal anschauen und ein paar Dinge angehen konnte, die „halt auch wichtig aber da brennt es noch nicht lichterloh“ sind. Bis morgen nach dem Friseur werden ein paar davon noch anbrennen, aber nicht komplett verkokeln. Damit kann ich leben.

Ich hatte morgens in der Bahn schon die Anfänge einer Migräne bemerkt, mich ihr aber verweigert. Zwischenzeitlich war sie in dem Winkel, in den ich sie zurückedrängt hatte, zu einem ziemlichen Monster herangewachsen, zusammen mit einem sehr lästigen einseitigen Spannungskopfschmerz. Am Nachmittag waren mir die Medikamente ausgegangen, also verließ ich ohne irgendwas zum Nachlegen gegen 17 Uhr das Büro und hoffte auf das Beste durch Frischluft bei der „Demo für Demokratie“ am Frankfurter Römer.

Bis ganz zum Römer kam ich nicht durch, es war zu voll, insgesamt waren aber schon deutlich weniger Personen da als bei der Demo neulich am Wochenende. Kein Wunder, Montag 17 Uhr ist beste Frankfurter Arbeitszeit, wie gesagt ich bin da üblicherweise auch noch im Büro und es können ja nicht alle einfach so kommen und gehen, wie es ihnen beliebt. Knapp 20.000 Personen waren es wohl immerhin. Ich hatte mit weniger gerechnet. Ich höre Petra Roth, die ehemalige Frankfurter Bürgermeisterin und Sabine Mauderer aus dem Vorstand der Bundesbank zu, dann noch einer Polizistin, dann wurde wieder laut irgendwas skandiert, damit fühle ich mich immer sehr unwohl und dachte, das ist ein guter Zeitpunkt für mich, um in eine Apotheke einzukehren und mir neue Medikamente zu besorgen.

Ich fuhr zurück nach Offenbach, war dann plötzlich sehr müde und setzte mich auf eine kleine Mauer, dort verweilte ich, ich weiß nicht, wie lang, bei Migräne habe ich kein gutes Zeitgefühl. Dann wurde mir kalt. Ich schlenderte durch die Fußgängerzone und schaute in das Fenster eines Donut-Ladens, über den ich am Wochenende noch mit Schanuf gesprochen hatte. Ich hole dort öfters Pakete ab, der Inhaber ist jedes Mal sehr freundlich und bietet an, sie mir nach Hause zu tragen. Als ich heute vor seinem Fenster stand, kam er heraus, breitete die Arme aus und sagte „Ich weiß es! Heute ist DER Tag!“

Amüsiert erkundigte ich mich, welcher Tag es sei und er antwortete, es sei DER Tag, an dem ich in seinem Laden etwas kaufe. Er hatte Recht. Ich kaufte eine Box mit 6 Donuts, dabei gab es ein lustiges (möglichweise migränebedingtes) Missverständnis, er empfahl nämlich den „Lotus-Donut“, der sei mit Lotuscreme gefüllt und ich dachte an die Lotusblüte, fragte, ob man die denn überhaupt essen könne und wie man sie zubereite. Was er aber meinte, war die Lotus Biscoff Creme, die ich entweder Biscoff Creme oder Spekulationscreme nenne. Ich war gedanklich aber total bei der Pflanze, er zeigte mir zwar den Donut, auf dem sogar ein entsprechender Keks war, aber ich hatte ja Migräne und leichte Seh- und sowieso Erkennungsstörungen und hielt es für ein Stück „Lotuspflanzenrinde“ (keine Ahnung, ob es das gibt, ich weiß genau nichts über Lotuspflanzen) – es war alles sehr verwirrend.

Irgendwann hatten wir es geklärt, dann lud er mich noch zu einer Kartoffeltasche ein, die sei frisch gebacken, die Kartoffeltasche enthielt dann Fleisch, was mich erneut verwirrte, ich fand es lecker aber hatte eben mit Kartoffel gerechnet und dann zeigte er mir noch sein gesamtes Ladensortiment, es gibt viele indische Produkte und bald noch mehr, das Mango-Chutney wurde mir angepriesen und Rosenwasser gibt es auch.

Ich habe keine Ahnung, wie lange ich dort war und ich kann mich auch an den restlichen Heimweg nicht erinnern. Jetzt sitze ich aber jedenfalls im Sessel unter einer Heizdecke, habe mit Frau Herzbruch binnen weniger Minuten Tickets für die Wiener Hofreitschule und die Wiener Sängerknaben gebucht und in die Staatsoper gehen wir auch, Herr N hat mir warmes Essen zubereitet und die neu gekauften Medikamente wirken.

Alles ist gut.

4. Februar 2024

Ich habe ausgeschlafen und als ich aufwachte, lag der Kater auf mir. Das war sehr schön. 7,6 kg wiegt das gute Tier – „ich hätte etwas mit 5 geschätzt, er muss sehr schweres Fell haben“, sagte die Tierärztin.

Der Vormittag verging schnell, es gibt eine neue Komplikation in meinem Zeitplan: am Montag um 17 Uhr ist eine Demo gegen Rechts in Frankfurt. Da möchte ich natürlich hingehen, allerdings ist 17 Uhr für mich noch allerbeste Arbeitszeit. Und wie wir wissen, habe ich ja Dienstagvormittag bereits einen Friseurtermin und hatte mir überlegt, dass dieses Ansinnen den Zeitplan bereits äußerst knapp macht. Dienstagvormittag nicht da und Montag quasi einen halben Nachmittag weg wird – ich weiß gar nicht. Werde es aber herausfinden und berichten! Mein Plan ist, einfach bis 16:45 Uhr GANz BeSONDERs SCHNeLL zu arbeiten. Einen Alternativplan habe ich nicht. Natürlich könnte ich den Friseurtermin wieder absagen, Demokratie ist wichtiger als Frisur. Demokratie ist allerdings auch viel abstrakter als Frisur. Beides muss gehen.

Später am Tag besuchte ich Schnauf, der Dackel fiel fast um vor Freude. Ich dachte, es sei Freude, mich zu sehen. In Wirklichkeit wurde ihm ein Hasenohr mit Fell versprochen, für wenn ich komme, die Freude war also Vorfreude und galt dem Hasenohr. Mit Fell. Wer freut sich da nicht. Später gab es noch getrocknete Lunge, also für den Hund, die roch ein wenig wie Ahle Woscht.

Frage in der unverbindlichen Contentvorschlag heute – sehr einfach zu beantworten, halleluja: „Was ist ein/der nOC?“. Der nOC ist mein Chef. Der „neue Oberchef“. Es gab (gibt noch, aber nicht mehr in dieser Funktion) einen alten Oberchef, der neue ist halt der Neue und ich kürze die ab wegen Zeichenbegrenzung und Faulheit, Sie wissen schon. Der neue Oberchef hat den alten Oberchef übrigens zwischenzeitlich formal in der Hierarchie überholt (der alte war nur europaweit Oberchef, der neue ist es weltweit), an persönlichem Status hat er ihn aber noch nicht eingeholt. Da gibt es viel dran zu beobachten und zu lernen. Gerade in diesem Moment habe ich mir überlegt, dass ich ab sofort ganz schlicht zu „Chef“ wechsle. Neu ist er nicht mehr und er ist der einzige, den es gibt, drüber ist nix. Also ist das einfach und sinnvoll zugleich.

3. Februar 2024

Komisch zerfranster Tag, irgendwie funktionierte alles und fühlte sich dabei sehr provisorisch an. Schon das Aufwachen – erst war ich viel zu früh um halb 6 wach, weil ich etwas unentspanntes geträumt hatte, das zweite Mal wurde ich dann um kurz nach 8 von der Türklingel geweckt, auch das noch. Die Zeit bis 10 Uhr verging mit verschiedenen Aufräumtätigkeiten und dem ersten Kaffee, um 10 Uhr fand ich, es wäre nun ausreichend spät, das Haus mit Gesang zu beschallen. Ich schuldete dem Gesangslehrer noch eine Aufnahme. Wir alle wissen, wie scheiße es ist, sich selbst auf Aufnahmen sprechen zu hören und sich selbst singen zu hören macht die Sache keineswegs besser. Ich brauchte acht Anläufe, bis ich etwas hatte, bei dem ich es über mich brachte auf den „Senden“ Knopf zu drücken.

Ach ja, einen Termin zum Haareschneiden habe ich noch gemacht, gleich nach dem Aufstehen und dem ersten Blick in den Spiegel. Ich wollte eigentlich in zwei oder drei Wochen gehen aber das geht nicht, ich habe zu viele Termine in der nächsten Zeit, bei denen ich wirklich nicht noch das Gefühl haben möchte, schlecht frisiert zu sein. Der Friseur hat allerdings Urlaub, was nicht schlimm ist, es gibt ja auch eine Friseurin dort, die schneidet für meinen Geschmack sogar etwas besser, hat aber die für mich ungünstigeren Arbeitszeiten. So werde ich nun also am Dienstagvormittag dorthin gehen, das sollte klappen, weil ich ja hoffe, Montag wieder ansatzweise Kontrolle über meinen Schreibtisch zu haben. Zaghaftes Hurra.

Am Abend konnte ich M zu einer Party fahren. Das kam ewig nicht mehr vor, es war richtig schön, im Auto bekomme ich immer viel erzählt. Letztendlich verfuhr ich mich noch, völlig absurd, es handelte sich um einen Weg, den ich während der Coronazeit, insbesondere, als man hier abends um 22 Uhr zu Hause sein musste, täglich zwei- bis viermal gefahren bin und manchmal zwischendurch angehalten habe, um auszusteigen, tief durchzuatmen und nicht durchzudrehen und auf dem ich mich – beim Warten – auch mal neben eine Katze auf den Gehweg setzte, um sie zu streicheln, und dabei einschlief, neben dem Auto auf dem Gehweg. Wie absolut verrückt das alles war.

Heute ist in der täglichen Contentvorschlagliste eine Frage, zu der ich ratlos bin: „Ich bin ein ziemlich distanzierter Mensch, obwohl ich mich seit Jahrzehnten sehr um nahe Beziehungen bemühe. Schon meine oft etwas floskelhafte Sprache verrät das. Wie kann ich eine „annäherndere“ Sprache lernen, haben Sie Tipps für mich?“

Ich habe keine Ahnung davon. Ich verstehe schon die Frage nicht richtig, es sind drei Aspekte, die ich nicht gut zusammenbringe. a) distanzierter Mensch, b) sucht Nähe, c) ist sprachlich distanziert, möchte Sprache lernen, die Nähe erzeugt. Ich kriege nur zwei dieser Dinge zusammen, dass ein distanzierter Mensch sich distanziert ausdrückt, ist folgerichtig, das passt zusammen. Wo kommt jetzt die Nähe rein? Warum möchte die Person, die sich als distanziert beschreibt, Nähe und wenn die Person Nähe möchte, warum ist sie dann distanziert? Hier hänge ich fest.

Ich lasse das mal beiseite und wende mich der Sprache zu. Ich glaube nicht, dass Sprache an sich distanziert sein kann, das hat immer auch mit dem Inhalt zu tun. Beispiel sind hier Floskeln. Wir nehmen mal einen Klassiker: „Wie geht es Dir?“ Floskelhafte, inhaltslose und daher distanzierte Antwort: „Passt schon/Ganz gut/Nie besser“ etc.

Warum machen wir das? Weil die Antwort aus der Nähe ganz häufig nicht in das Setting passt. Falscher Ort, wie eine flüchtige Begegnung auf der Straße, die morgendliche Begegnung an der Kaffeemaschine am Arbeitsplatz. Falsches Umfeld, wie z.B. in einer größeren Gruppe, bei denen nicht zu allen ein Vertrauensverhältnis besteht. Falscher Zeitpunkt, insbesondere auch falscher Zeitpunkt im Gespräch, wir sitzen noch nichtmals richtig am Tisch, da ist diese Frage wirklich ein bisschen hoch gegriffen, „und, wie war dein Tag bisher“ hätte auch ausgereicht. Zu schnell, falscher Rhythmus, falsche Zeit, falsche Person, falscher Ort für Nähe, wir gehen auf Distanz, sprachlich, mit Floskeln.

Die Person, die diese Frage stellt, geht offenbar sehr häufig auf Distanz, öfter, als sie selbst eigentlich möchte. In dem Fall würde ich mich fragen: was ist mein Nutzen. Irgendeinen wird es ja geben. Die Kosten haben wir schon beziffert: wenn ich mich nicht offenbare, kann ich nicht gesehen werden, wenn ich zu sehr auf Abstand bin, finde ich keine Verbindungen, keine Resonanz. Ich mache das trotzdem. Warum also, was bringt es mir? Der verspürte Nutzen muss größer sein als die Kosten, sonst würde ich das nicht instinktiv und immer wieder so machen. Irgendein Bedürfnis wird damit erfüllt. Da würde ich anfangen, zu schauen. Was bringt die Distanz? Wenn ich das weiß, kann ich überlegen, ob die Rechnung für mich wirklich gut aufgeht oder ob ich diesen Nutzen auch irgendwie anders herbeiführen kann, so dass ich in meiner Gestaltung von Nähe/Distanz freier werde.

Mehr fällt mir dazu nicht ein.

2. Februar 2024

Durch eine Woche Urlaub, den Blackout-Tag (des Gebäudes, ich selbst hatte kein Blackout) und die Ereignisse gestern habe ich im Büro ein Aufgabenlevel erreicht, bei dem ich keinerlei Überblick mehr habe, was alles zu tun ist. Dazu gab drei absolut dringende Kernaufgaben, von denen jede ca. einen halben Tag in Anspruch nimmt und die mussten – komme was wolle – heute gemacht werden. Das entspannte die Situation für mich, was es alles noch auf der Liste gab, war damit vollkommen gleichgültig, es ging ja nur noch darum, drei Halbtagsdinge an einem Tag möglich zu machen, das ist mit vielen runden Ecken und wenig Diplomatie kein Problem. Ich fand sogar noch Zeit, mittags Essen zu gehen, ein superspannendes kleines Menü: Schwarzwurzel-Orangen-Salat, Mohnspätzle mit Rindergeschnetzeltem, Aprikosenpannacotta und ein Espresso Macchiato mit Hafermilch. Dazu trank ich eine Literflasche Wasser, weil ich an dicht gepackten Tagen das Trinken meist vergesse, das Mittagessen schien mir eine gute Gelegenheit.

Die tägliche Contentvorschlagliste fragt heute, wie Frau Herzbruch und ich uns kennengelernt haben. Das ist hiermit die erste Frage, die ich verweigere. Ich habe das schon zu oft erzählt, wenn ich etwas sehr oft erzähle, wird es mir langweilig und ich fange an, die Erzählung zu verändern, damit meine Langeweile endet. Ich könnte jetzt erzählen, wie wir beide im selben Kaufhaus beim Ladendiebstahl erwischt wurden und uns anfreundeten, als wir auf die Polizei warteten oder dass wir beide den selben Sitzplatz in der Bahn reserviert hatten, nach einer körperlichen Auseinandersetzung und gegenseitigen Anzeigen einem Schlichtungsverfahren ausgesetzt waren, das unerwartet erfolgreich verlief oder ich Frau Herzbruch nach Klamottenshopping mit ihren ganzen Tüten auf der Straße sah und dachte, sie sei eine Person ohne Wohnsitz und die ganzen Tüten ihr hab und gut und dann lud ich sie zu einem Kaffee ein. Und dann sagt wieder wer, ich würde lügen. Insofern lasse ich Frau Herzbruch die Geschichte erzählen, mit komplettem Freifahrtschein, was immer es ist, ich werde mich für die Wahrheit der Erzählung verbürgen.

Den zweiten Teil der Frage, was Frau Herzbruch und mich verbindet, erzähle ich gern, zumal ich mich das auch öfters frage, denn wir sind sehr unterschiedlich. Ich habe die folgenden Thesen:

Uns verbindet zum einen ein sehr robuster Humor, wir wissen beide, wie es ist, zerrissen zu sein zwischen einer Freundschaft und dem Drang nach der perfekten Pointe und so ertragen wir die Despektierlichkeiten der jeweils anderen mit resignierter Hochachtung.

Was uns auch verbindet ist der absolute Glaube an ein gegenseitiges Wohlwollen. Ich weiß nicht, woher das kommt aber ich würde Frau Herzbruch ohne zu zögern mein Leben anvertrauen. Meine Steuererklärung allerdings nicht. Frau Herzbruch, da bin ich mir sicher, würde mir ihre Steuererklärung (und auch ihr Leben) anvertrauen aber nicht die Renovierung ihrer Wohnung. Wir kennen die Schwächen der anderen und hauen da gerne mal drauf. Immer wohlwollend natürlich.

Und dann verbindet uns noch eine spezielle Form von Irrsinn, ich glaube, mit Frau Herzbruch verbindet mich von allen meinen Freundinnen die größte Anzahl an skurrilen gemeinsamen Erlebnissen, weil sie – wie ich – immer nur einen Tick vom „ach da gehen wir jetzt mal mit“ entfernt ist, eine absolute Freundin der schnellen Entschlüsse mit sofortiger Umsetzung. Ich kann sie um 14, während sie 250 km entfernt im Baumarkt an der Kasse steht, fragen „kommst du heute Abend als meine Partnerin mit auf den Abschlussball?“ und um 18 Uhr ist sie da. Ich kann sie – im Zug auf dem Rückweg von einer Urlaubsreise – fragen „wo fahren wir denn nächstes Jahr hin“ und eine Viertelstunde später ist alles gebucht, inklusive Opernkarten.

Und wir haben beide einen unfassbar starken Willen, wir fahren gemeinsam an einem Tag, an dem wir eigentlich überhaupt keine freie Minuten haben, fünf Supermärkte ab und stürmen sie sonderkommandomäßig, weil wir Entenbrust haben wollen. Die wir dann gar nicht zubereiten, oder vielleicht doch, ich habe keine Erinnerung daran, ich erinnere mich nur an die Jagd danach und lache noch heute darüber. Vor diesem Willen haben wir gegenseitig großen Respekt, was sehr gut ist, denn würden wir damit aneinandergeraten, ginge es für beide nicht gut aus.

1. Februar 2024

Verrückter Tag. Von 15 bis 20:30 Uhr war ich in einer Mietflächenübergabe, es geschahen sehr unerwartete Dinge, ich bin völlig durchgenudelt, wollte mit einem Uber nach Hause fahren, zum allerersten Mal, ich bin noch nie Uber gefahren, habe es dann aber vergessen und es erst auf halbem Weg zur Bahn wieder erinnert, aus der Bahn bin ich dann, weil ich so in Gedanken versunken war, zu spät ausgestiegen und mit einer anderen Bahn wieder zurückgefahren, ging die Treppe hoch und dachte, ich lege mich zu Hause sofort auf den Fußboden und stehe so schnell nicht wieder auf, dann saßen zu Hause aber zig junge Erwachsene in der Küche und hatten gekocht, ich wollte nicht merkwürdig sein, es ist ja die Aufgabe der jungen Leute, merkwürdig zu sein, nicht meine. Also sitze ich jetzt im Sessel.

Geht vorbei.

Frage in der täglichen Contentvorschlagliste heute: Sie scheinen das Konzept „Achtsamkeit“ recht gut zu leben – aber mögen Sie auch den Begriff „Achtsamkeit“?

Hier hätte ich das „aber“ in der Formulierung zum Beispiel weggelassen. Ich habe auch keine Ahnung, ob ich das Konzept „Achtsamkeit“ gut lebe, ich interessiere mich nicht so für Konzepte. Sagen wir mal so: ich komme gut klar.

Mag ich den den Begriff „Achtsamkeit“? Den Wortrhythmus und die Laute mag ich, klingt irgendwie trocken-sanft. Der Begriff an sich ist mir völlig egal.

Ich lehne allerdings die Inhalte des Modebegriffs Achtsamkeit komplett ab, der für mich im Wesentlichen den Inhalt „ich schau nur auf mich und alle anderen sind Schuld an allem“ hat. Diese merkwürdige Anwandlung, sich vor der Welt schützen, sich abgrenzen zu wollen, statt einen guten Weg für alle zu suchen, in und mit dieser Welt zu leben. Platidütenhafte Sprüche, Kreiseln um die eigene Befindlichkeit in unendlicher Egozentrik ohne irgendwelche Zugeständnisse an das Gesamtgefüge des Lebens, Scheiß wie Me-Time oder Digital Detox oder Detox an sich, jegliche To-Dos oder Not To Dos, alles mit Ausrufungszeichen, 10-Minuten-Dies und 20-Minuten-Das, vorgefertigte Regelsätze zum Sich-Gut-Fühlen.

Achtsamkeit ist hingucken, hinfühlen, aushalten, sprich: harte Arbeit. Erfordert Mut, erfordert Entscheidungen – sehr oft die Entscheidung, nicht auf den aktuellen eigenen Impuls zu reagieren, es sich eben nicht leicht zu machen, sondern nochmal genau nachzudenken.

Es ist ein bisschen wie „Mit Nazis reden“. Zu sagen, Nazis sind doof, mit denen rede ich generell nicht, ich ignoriere das, ist eine zu bequeme Position, wenn daraus erwächst, dass sie ungehindert ihre Inhalte Raum greifen lassen. Genauso ist es eine zu bequeme Position zu sagen, mein Befinden ist x und deshalb mache ich y, das tut mir gut, ohne die Auswirkungen zu betrachten.

Konkretes Beispiel: Freund*innen 10 Mal Verabredungen abzusagen, weil ich mich dem gerade nicht gewachsen fühle- das ist nicht achtsam, das ist mies. Durchaus mag es sein, dass gerade nur mies drin ist, das ist okay. Macht es aber nicht achtsam. Achtsam wäre, irgendwann mal zu sagen „pass auf, ich hab folgende Situation bei mir/in mir, ich bin momentan unzuverlässig, ich mag dich trotzdem gern und will versuchen, dich zu sehen, aber es kann immer gut sein, dass ich es nicht schaffe, ist das ok, kannst du das ein Stück mit mir tragen?“ Und die Antwort, was immer sie ist, zu akzeptieren und das Beste daraus zu machen. Das wäre achtsam.

Wie gesagt, kostet Kraft, kostet Mut, geht nicht immer. Manchmal sind wir unachtsam, manchmal sind wir scheiße, oft hat es einen Grund, immer hat es Konsequenzen, machen wir es einfach, so gut wir können.