Jetzt ziehen wir alles einmal zusammen: Wenn wir uns alle schon genannten Aspekte anschauen, ist klar: Ausschüttungspolitik ist eine unglaublich spannende Sache! Man muss die Form der Ausschüttung wählen, dabei die Interdependenzen zwischen Finanzierungs-, Investitions- und Ausschüttungspolitik bedenken und die teilweise konfliktären Positionen der verschiedenen Interessengruppen, von denen wir gerade sprachen und, ganz wichtig, auch die schon erwähnte Signalwirkung, die die Entscheidung hat.
Ein paar dieser Interdependenzen umreiße ich ganz grob
Das Unternehmen möchte den Gewinn natürlich einerseits gern so weit wie möglich im eigenen Interesse verwenden, andererseits aber auch gute Beziehungen zu Shareholdern und Stakeholdern pflegen und muss natürlich einen Gewinnverwendungsvorschlag machen, der im Korridor dessen liegt, was in der Hauptversammlung voraussichtlich angenommen wird.
Das Unternehmen kann die Dividendenpolitik nutzen, um bilanzpolitisch das Ergebnis zu glätten, Rücklagen zu bilden oder aufzulösen. Gerade wenn ein Unternehmen in einem stark zyklischen Markt agiert, muss es für Senken vorsorgen. Das ist in der Industrie meist der Fall. Ist die Nachfrage an den Produkten/Dienstleistungen des Unternehmens hingegen eher unelastisch, hat das Unternehmen eine relative Preissetzungsmacht und wird von Inflation oder auch Rezession nicht so hart getroffen. Die Vorsorge ist für Unternehmen in solchen Märkten also nachrangiger und die Ausschüttungsquote tendenziell höher, ein Beispiel hierfür ist die Immobilienbranche (was auch an den REITs liegt, aber das ist nochmal ein komplett anderes Thema).
Auch das Alter des Unternehmens spielt häufig eine Rolle, gerade junge Unternehmen müssen/wollen/können häufig noch viel investieren. Wenn das gut gelingt, kann der Kurseffekt (also der steigende Aktienkurs, weil die Nachfrage an den Aktien des Unternehmens wegen einer spannenden Entwicklung wie z.B Investition in neue Märkte, in Übernahmen, in Forschung, in Entwicklung steigt) ausbleibende Ausschüttungen überkompensieren. Ältere Unternehmen schütten tendenziell eher aus.
Für die Pflege der Beziehungen zu den Aktionär*innen wie auch für den generellen Ruf des Unternehmens im Markt kann eine zverlässige Dividendenzahlung wichtig sein: über lange Zeit stabile, leicht steigende Dividenden hatten in Deutschland Tradition (Stichwort: Dividendenkontinuität) und Dividenden sind nach wie vor ein zentraler Zweck des Investments in Aktien. Unternehmen, die verlässlich jedes Jahr eine attraktive Dividende ausschütten, signalisieren Erfolg und Kontinität, sie werden auch “Dividendenaristokraten” genannt. Generell sind Ausschüttungsquoten zwischen 25 % und 75 % absolut üblich. Oft wollen Unternehmen auch die Dividendenrendite (oder die Dividende) stabil halten, damit die Aktionär*innen nicht abwandern, und gehen über 75 % oder auch über 100 % Auschüttungsquote hinaus. Mit der Signalwirkung der Dividenden kann und muss das Unternehmen arbeiten. Denn wie schon gesagt: der Aktienkurs spiegelt nicht die wirtschaftliche Realität des Unternehmens wider, sondern das Vertrauen und die Hoffnungen, die in das Unternehmen gesetzt werden.
Für Aktionär*innen steigt die Attraktivität des Unternehmens in der Regel durch hohe Renditen und niedriges Risiko. Darauf wirken die operativen, investiven und finanzwirtschaftlichen Entscheidungen der Unternehmensleitung natürlich ein. Tendenziell bevorzugen Großaktionär*innen (die langfristig anlegen) eher die Thesaurierung von Gewinnen und Investitionen, Kleinaktionäre eher Dividendenzahlungen und eine konservative Unternehmenspolitik, je nach Vorgehensweise bei der Geldanlage aber auch eine kurzfristige Gewinnmaximierung um jeden Preis. Die Shareholderstruktur muss bei der Ausschüttungspolitik also unbedingt bedacht werden, also welcher Anteil der Aktionär*innen wachstumsorientiert, wertorientiert oder GARP-orientiert ist, Hedging betreibt und so weiter.
Die Zahlung einer attraktiven Dividende signalisiert zunächst einmal Erfolg. Es ist aber auch möglich, dass nur die Signalwirkung genutzt werden soll, also Erfolg vorgetäuscht werden soll. Dieser Verdacht erhärtet sich, wenn Dividenden aus der Substanz gezahlt werden, also eine Ausschüttungsquote in Bezug auf den Gewinn von über 100 % vorliegt.
Dann widerum kann es auch sein, dass ein Unternehmen keine attraktiven Investitionschancen sieht und daher eine hohe Dividende auszahlt. Mangel an Investitionsmöglichkeiten hat aber oft einen schlechten Beigeschmack und stellt langfristiges Wachstum in Frage. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch nochmal der Free Cash Flow: je höher er ist, desto höher ist das interesse der Aktionär*innen, eine hohe Dividende ausgezahlt zu bekommen. So können sie selbst entscheiden, ob sie das Geld in innovativere Projekte (sprich: andere Aktien) stecken.
Die übrigen Stakeholder bevorzugen meistens eine eher niedrige Ausschüttung, sie profitieren nicht von einer Gewinnmaximierung der Aktionär*innen und eher von Investitionen.
Die Geschäftsführung des Unternehmens ist – neben der Vertretung der Unternehmensinteressen – auch auf einer persönlichen Ebene involviert und persönlich an Wohlstandsmaximierung, Arbeitsplatzsicherheit, Macht, Prestige etc. interessiert. Sie wird daher auch aus persönlichen Gründen häufig Interesse an Thesaurierung (Reinvestition) des Gewinns haben und befindet sich damit in einer Konfliktsituation zwischen Unternehmen und Kapitalgebern. Unter anderem aus diesem Grund sind Bonussysteme des Managements oft so gestaltet, dass dieser Interessenkonflikt reduziert wird, etwa durch Aktienpakete.
Shareholder wie auch Unternehmen sind meist daran interessiert, die übrigen Stakeholder nicht vor den Kopf zu stoßen. Niemand braucht Skandale, besser dastehen als der Wettbewerb ist immer gut, zumal Aktienkurse ja an Angebot und Nachfrage gekoppelt sind. Agiert das Unternehmen allzu weit abseits des allgemeinen ethischen Verständnisses, droht möglicherweise Regulierung, das ist für Unternehmen höchst unerfreulich. Hier nähern sich also Unternehmen, Shareholder und Stakeholder Value an.
In Bezug auf Dividendenzahlungen fragen sich die Kund*innen eines Unternehmens häufig, warum es jetzt sein muss, dass ein Unternehmen so hohe Gewinne einfährt, die es vermeintlich gar nicht braucht und an die Aktionär*innen verteilt, wenn doch stattdessen auch der Preis für das Produkt gesenkt werden könnte.
Diese Überlegung ist dann sinnvoll, wenn wir das gesamte wirtschaftliche System in Frage stellen, das derzeit von Gewinn als Triebfeder des ökonomischen Handelns ausgeht, als Lohn für die Aufnahme von Risiken. Der überwiegende Teil unserer Gesellschaft strebt nach Selbstbestimmung, um eigene Ideen umsetzen zu können oder um die Ideen anderer nicht umsetzen zu müssen. Ein Weg, dies zu erreichen, ist Geld.
Wir sind jetzt thematisch nicht mehr im dunklen Herzen des Kapitalismus, sondern im dunklen Herzen des Menschen und nähern uns philosophisch-soziologischen Fragen. Dabei erkennen wir, dass Aktionär*innen ihr Geld überwiegend nicht für die gute Sache geben, sondern für den Profit, um damit wiederum Selbstbestimmung zu erreichen. Zum Beispiel vorsorglich für das Alter. Wenn Sie eine private Altersvorsorge suchen, wird ein wichtiges Kriterium bei der Entscheidung sein, was pro Euro, den Sie einzahlen, am Ende dabei herauskommt.
Wenn Sie also das derzeitige Wirtschaftssystem in Frage stellen möchten, haben Sie hier einen kurzen Überblick über einen kleinen Ausschnitt der Zusammenhänge, die Sie dabei berücksichtigen müssen, als Hintergrundwissen gefunden.
Und wenn Sie sich für eine Aktiengesellschaft interessieren, beispielsweise, weil Sie sie blöd finden, dann: informieren Sie sich! Eine Fülle an Informationen – jedenfalls mehr, als Sie in einem halben Stündchen lesen können – steht Ihnen in der Regel online zur Verfügung. Sie finden das auf den Websites der Unternehmen unter den Punkten “Informationen zu Investoren” oder “Shareholder Relations”, dort sind ausführliche Berichte und die bestehen bei weitem nicht nur aus Tabellen mit Zahlen. Es finden sich darin Beschreibungen der Geschäftstätigkeit, Einschätzungen von Chancen und Risiken, Erklärungen, Pläne und das meist in gut verständlicher Sprache. Das hat natürlich einen Grund: Neben der Erfüllung der Reportingpflichten nutzen Unternehmen diese Berichte als Marketinginstrumente. Warum es wichtig ist, gute Beziehungen zu den Shareholdern und Stakeholdern zu pflegen, ist ja sicher im Vorangegangenen deutlich geworden. Also sind die Berichte des Unternehmens selbstverständlich durch die Vorstellungen des Unternehmens gefärbt, so wie meine Blogeinträge durch meine Vorstellungen gefärbt sind und jede Publikation durch die Vorstellungen ihrer Redaktion geprägt ist. Das ist ganz normal. Der Geschäftsbericht des Unternehmens ist also das eine Ende des Spektrums. Fangen Sie dann an, selbst zu denken und Informationen aus anderen Quellen zusammenzutragen, um sich ein differenziertes Gesamtbild zu machen.
Als niedrigschwelligen Einstieg empfehle ich die Geschäftsberichte der “Zoologischer Garten Berlin AG”, wegen der vielen spannenden Berichte über die Tiere.
Vielen Dank für diese informative Reihe! So konzentriert und unterhaltsam geschrieben habe ich zu diesem Thema noch nichts gelesen. (Vielleicht gibt es ja im Herbst eine Fortsetzung mit den Derivaten?)
Btw. aktuell erscheint beim Öffnen des Blogs eine Fehlermeldung:
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danke für diese coole serie. ich stecke selbst – dem mann sei dank – so knöchel- bis knietief in der materie und jongliere mit begriffen, über die ich mir manchmal selbst nicht so ganz im klaren bin, weil mich in meiner anerzogenen kapitalistischen gier die reine funktionalität mehr interessiert als die theorie. zunächst zumindest. aber das war schön erklärt, auch für halbdummies wie mich.
Das freut mich 🙂