9. Mai 2023

Ich unterziehe mich seit ca. 3 Wochen einem selbst erfundenen Experiment. Der Anlass dafür war das unangenehme Gefühl, das ich immer verspüre, wenn mich auf der Straße jemand um Geld bittet.

In meinem Kopf kam diese Situation ungefähr 100 mal täglich vor, mindestens. Ich kann natürlich nicht jeden Tag 100 Personen Geld geben, ganz klar, da verarme ich. Und selbst, wenn ich willens wäre, sah ich immer zwei Probleme: a) ich bin viel zu sehr Stadtkind, um irgendwo auf der Straße meine Geldbörse herauszunehmen und b) ich habe in den allermeisten Fällen sowieso gar kein Bargeld, ich zahle ja alles mit Karte, die in der Handyhülle steckt oder mit dem Handy selbst – die Hälfte der Zeit habe ich noch nicht einmal eine Geldbörse dabei.

Neulich war aber ja Ostern – ah, nun lässt sich auch der Zeitpunkt besser eingrenzen, ich betreibe mein Experiment seit ziemlich genau 4 Wochen – und Papa N. war zu Besuch. Sein Blick fiel auf einen Katzenfutternapf, den ich schon längst aus meinem alltäglichen Blickfeld ausgeblendet hatte. Er steht neben der Kaffeemaschine und ist gefüllt mit Münzgeld. Nicht mit Silbergeld, das brauche ich immer für Paket- und Essensliefermenschen sondern mit dem Bodensatz der Geldbörsen, das, was ich „grünes Geld“ und „rotes Geld“ nenne, also alles von 1 Cent bis 50 Cent.

Hier habe ich bei meiner Begriffssuche übrigens gerade etwas neu verinnerlicht, vielleicht wissen Sie es noch nicht: Die 1, 2 und 5 Cent-Münzen sind aus Stahl mit Kupferummantelung, die 10, 20 und 50 Cent-Münzen aus Nordischem Gold (was eine Bezeichnung für eine Messinglegierung ist) und die 1 Euro-Münzen sind außen Nickel-Messing und innen Magnimat. Magnimat gewann in den 70ern in der Silberspekulationsblase an Bedeutung, sehr spannende Geschichte, die Brüder Hunt kauften irrsinnige Mengen an Silber, der Silberpreis explodierte und so wurde die ehemalige Silberlegierung unserer 5-DM-Münze Mitte der 1970er gegen eine aus Magnimat ausgetauscht. Ein paar Jahre später griff die Börsenaufsicht ein (Silver Rule 7) und der Markt regelte auch ein bisschen, weil alle anfingen, ihre Silberlöffel einzuschmelzen, den Hunts wurden folglich ihre Long-Positionen zum Verhängnis – ich habe den Faden verloren aber ist egal, denken Sie einfach an mich, wenn Günter Jauch sie mal danach fragt.

Jedenfalls sagte Papa N „Wat machste denn damit, wennde dat zur Bank bringst musste mehr bezahlen, alset wert is.“ Womit er vermutlich Recht hat, ich gehe aber ja auch sowieso in keine Bank wegen der Öffnungszeiten, deshalb hatte ich den Katzenfutternapf erst installiert und dann ausgeblendet.

Jetzt war er wieder in meine Aufmerksamkeit gerutscht, sehr schlechte Situation, aus der heraus aber nun mein Experiment entstand: jeden Morgen (stimmt nicht, erkäre ich aber später) nehme ich jetzt eine Handvoll von diesen Münzen und stecke sie in die Hosentasche und wenn eine Person mich um Geld bittet, gebe ich ihr die Münzen. Das mache ich nun, wie wir vorhin festgestellt haben, seit 4 Wochen und habe schon zwei Erkenntnisse gewonnen:

  1. Ich werde gar nicht täglich 100 mal nach Geld gefragt. Verblüffend. Ich werde etwa zwei- bis dreimal pro Woche nach Geld gefragt. Nehme also auch nicht jeden Morgen Münzen aus dem Napf, sondern zwei- bis dreimal pro Woche.
  2. Wenn ich gefragt werde, hängt das meist auch mit meinem Aufenthaltsort zusammen und ich werde dann gleich mehrfach gefragt. Ich gebe aber immer alles gleich der ersten Person. Dennoch sind die kurzen Unterhaltungen mit den weiteren Personen nie unangenehm. Ich vermute, das liegt daran, dass ich etwas völlig anderes ausstrahle, wenn ich sage, dass ich leider gerade alles einer anderen Person gegeben habe, als wenn ich „sorry nein“ sage und im Hinterkopf habe, dass ich vielleicht Kleingeld habe oder vielleicht auch nicht und nicht die Geldbörse raussuchen will und da vielleicht auch sowieso nichts drin ist.

Bisher ist mein Experiment also ein voller Erfolg. Der Katzennapf ist noch zu 2/3 voll. Wie ich vorgehe, wenn er leer ist, weiß ich noch nicht.