Das dunkle Herz des Kapitalismus – Teil I

Diesen Text schreibe ich als Folge von Klugscheißerei: mir fiel in Tweets/Kommentaren zur Ausschüttungsquote (2021) der Vonovia SE auf, dass Begrifflichkeiten nicht sauber verwendet wurden und auf mein Augenzucken dazu kam die Antwort, dann solle ich es doch mal richtig erklären. Eine gute Antwort.

Über den Kapitalmarkt – konkreter, Aktienmarkt – kann man sehr unterschiedlicher Ansicht sein. Fakt ist aber: er existiert und bestimmt maßgeblich unser Wirtschaftsleben. Was man nutzen möchte, sollte man verstehen. Was man kritisiert und ändern möchte, erst recht. Ich habe mich nun selbst berufen, hier für mehr Verständnis zu sorgen.

Folgen Sie mir deshalb heute hinab in das dunkle Herz des Kapitalismus – naja und die nächsten Tage auch, es wird mehrere Teile geben.

Wir schauen uns an, was eine Dividende eigentlich ist. Was für weitere Gewinnverwendungsmöglichkeiten es gibt. Welche Ausschüttungsformen. Was für Kennzahlen wir haben, um Ausschüttungen zu bewerten. Ein bisschen stöbern wir in der Buchhaltung und betrachten fasziniert Gestaltungsmöglichkeiten des Reportings! Amazon kommt vor!! Verschiedene Gruppen, die man unter einen Hut kriegen muss mit ihren konfliktären Interessenlagen, die sich dann aber manchmal annähern. Meine Güte, was wollen die eigentlich alle und warum? Welches Signal senden die schon erwähnten Kennzahlen und warum bedeuten sie manchmal genau das Gegenteil? Schlaufüchse sind dabei und Cum-Ex und warum verdammt nochmal werden die Sachen nicht einfach billiger?

Fangen wir an.

Von März bis Mai ist Dividendensaison

Das bedeutet, dass viele Aktiengesellschaften in diesem Zeitraum eine Dividende an die Aktionär*innen zahlen. Warum hauptsächlich von März bis Mai? Um das zu erklären, schlendern wir rückwärts durch eine notwendige Ereignisfolge:

Über die Dividendenausschüttung in der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft entschieden -> Diese Hauptversammlung muss unverzüglich einberufen werden, wenn der Bericht des Aufsichtsrates über den Jahresabschluss vorliegt -> Der Jahresabschluss wiederum muss innerhalb der ersten drei Monate des Geschäftsjahres vorliegen ->. Das Geschäftsjahr ist bei den meisten Gesellschaften dasselbe wie das Kalenderjahr.

Ausnahmen gibt es natürlich immer, aber so kommen wir zu einem Schwerpunkt der Dividendenausschüttungen zwischen März und Mai eines Jahres. 

Was ist eine Dividende und wozu ist sie gut?

Wenn eine Aktiengesellschaft eine Dividende zahlt, bedeutet das, dass sie allen, die (eine) Aktie(n) der Gesellschaft haben, Geld auszahlt. Meistens ist der Hintergrund, dass die Akiengesellschaft Gewinn (hier ist immer der Bilanzgewinn gemeint) gemacht hat. Sie hat also mehr Geld eingenommen als ausgegeben – das geht aus dem Jahresabschluss hervor. Und sie zahlt einen Teil dieses Gewinns an die Aktionär*innen, die ja die Eigentümer*innen sind, aus. Diese Auszahlung ist die Dividende.

Eine Dividende ist also ein Instrument der Gewinnverwendung

Natürlich gibt es noch viele andere Möglichkeiten, Gewinne zu verwenden. Jede dieser Möglichkeiten hat verschiedene mögliche Gründe und verschiedene mögliche Folgen.

Welche Möglichkeiten haben Aktiengesellschaften, den Gewinn zu verwenden?

Aktiengesellschaften können den Gewinn im Unternehmen lassen (in Form von Rücklagen), für das Unternehmen ausgeben (reinvestieren), sie können damit Schulden abzahlen oder sie können ihn unter den Eigentümer*innen (das sind die Aktionär*innen) verteilen. Diese Verteilung nennt man Ausschüttung.

Da der Aufhänger zu diesem Text die Ausschüttungsquoten waren, konzentrieren wir uns jetzt auf die Ausschüttung.

Eine Aktiengesellschaft hat also Gewinn gemacht. Es gibt gesetzliche Regelungen, die bestimmen, welche prozentualen Anteile dieses Gewinns schon beim Jahresabschluss (also vor der Hauptversammlung, in der über die Gewinnverwendung abgestimmt wird) von der Aktiengesellschaft in beispielsweise Gewinnrücklagen eingestellt werden dürfen. Für den Gewinn darüber hinaus gilt in Deutschland (grob gesagt): die Aktionär*innen haben Anspruch auf den Bilanzgewinn.

Es ist aber nicht so straightforward, dass die Unternehmensführung einfach sagt: “ok ich schlag vor, wir verteilen jetzt mal den ganzen Gewinn an die Aktionär*innen, ist ja übrig, alle können sich freuen und mehr haben wir eh nicht.” Das ist nicht sinnvoll. Geld, das ausgeschüttet wird, steht nicht mehr für Finanzierungen oder Investitionen zur Verfügung und beides kann notwendig sein, um ein Unternehmen zu stabilisieren oder weiterzuentwickeln.

Deshalb macht die Unternehmensleitung, die sich mit den Belangen des Unternehmens am besten auskennt, eine Empfehlung zur Aufteilung dieses Gewinns. In der Hauptversammlung stimmen die Aktionär*innen über diesen Vorschlag ab. Und, wie schon gesagt, man lässt sie nicht aus Freundlichkeit darüber abstimmen, sondern weil ihnen laut Aktiengesetz dieser Gewinn gehört.

An dieser Stelle wird schon klar, dass die Interessen des Unternehmens und die der Aktionär*innen in dem Vorschlag zur Gewinnverwendung möglichst gut unter einen Hut gebracht werden müssen. Und es gibt noch weitere, teilweise sehr unterschiedliche Interessenlagen zu beachten.

Diese Überlegungen, ob, wie viel, auf welchem Weg und wann Gewinn ausgeschüttet wird, nennt man Ausschüttungspolitik. Die Ausschüttungspolitik sind eine zentrale Aufgabe der Unternehmensführung und in ihrer Komplexität eine unglaublich spannende Sache!

Bevor wir sie uns näher anschauen, müssen aber noch ein paar Begriffe geklärt sein – dazu kommen wir morgen.

11 Kommentare zu „Das dunkle Herz des Kapitalismus – Teil I“

  1. Sehr gut! Ich werde Ihre Ausführungen sehr interessiert verfolgen. Leider habe ich mein „Talent für Geld“ erst spät entdeckt. Als es bei mir um die Berufswahl ging, war alles, was mit Geld und Kapital zusammen hing „böse“ (Abi 1976) und Green Banks noch nicht erfunden. Aber immerhin bin ich inzwischen ganz gut informiert und finanziell „unabhängig“ – wie es immer so schön heisst.

  2. Sehr schön erklärt, auch für einen kompletten Finanznoob wie mich. Was mich noch interessieren würde – muss man die Aktien für einen bestimmten Zeitraum gehalten haben um für diese Ausschüttung berechtigt zu sein oder kann ich auch einfach Glück haben und sie einen Tag vorher gekauft haben und trotzdem Geld bekommen?

    1. Dazu kommen wir etwas später im Bereich Cum-Ex!

      (Kurzfassung: wer die Aktie am entsprechenden Stichtag im Depot hat, ist dividendenberechtigt.)

    1. Eine Dividende ist eine Form der Ausschüttung. Es gibt aber noch weitere Formen der Ausschüttung, wie z.B. die Sonderdividende, den Aktienrückkauf, die Nennwerterhöhung.

      Also jein. Die Dividende ist eine Ausschüttung, aber die Ausschüttung nicht zwingend eine Dividende.

      1. Aktienrückkauf und Nennwerterhöhung als Ausschüttung zu bezeichnen, ist eine sehr individuelle Definition, die sich so in keinem Lehrbuch findet und für mich auch keinen logischen Hintergrund hat. Sind Sie sicher, dass Sie da nicht was verwechselt haben?

        Ebenfalls nicht ganz sauber ist dieser Abschnitt:
        „Aktiengesellschaften können den Gewinn im Unternehmen lassen (in Form von Rücklagen), für das Unternehmen ausgeben (reinvestieren), sie können damit Schulden abzahlen oder sie können ihn unter den Eigentümer*innen (das sind die Aktionär*innen) verteilen. Diese Verteilung nennt man Ausschüttung.“

        Das liest sich, als wären das alles einzelne Alternativen, aber genau das ist nicht der Fall.
        Wenn eine Gesellschaft den Gewinn im Unternehmen lässt, dann heißt das nur, dass sie ihn nicht ausschüttet, das sind die beiden Begriffspaare, die zusammengehören.

        Wenn eine Gesellschaft den Gewinn ausschüttet, dann fließt er aus dem Unternehmen raus zu den Gesellschaftern (Aktionären), dann ist er weg und fertig.
        Wenn eine Gesellschaft aber den Gewinn nicht ausgeschüttet, dann steigt das Eigenkapital.
        Eigenkapital ist der Teil des Gesamtvermögens, der der Gesellschaft selber gehört. Neben dem Eigenkapital gibt es noch das Fremdkapital – oder vereinfacht ausgedrückt: die Schulden. Beides zusammen bildet das Gesamtkapital, mit dem das Vermögen der Gesellschaft finanziert ist.
        Wenn man als Beispiel eine Gesellschaft nimmt, die nur ein einziges Vermögensteil hat, ein Haus, dann kann man sich leicht vorstellen, dass das Haus nicht zu 100% mit Eigenkapital bezahlt wurde, sondern dass es ein Bankdarlehen gibt, was die Gesellschaft aufgenommen hat, um das Haus kaufen zu können.
        Sagen wir, das Haus hat einen Wert von 100 und es gab Eigenkapital von 30, dann musste die Gesellschaft noch 70 Schulden machen, um das Haus kaufen zu können.
        Wenn die Gesellschaft das Haus jetzt vermietet und aus dieser Vermietung bleibt Gewinn übrig, sagen wir, die Gesellschaft macht einen Gewinn von 10. Dann hat sie folgende Möglichkeiten:
        Sie kann die 10 Gewinn an ihre Gesellschafter (Aktionäre) ausschütten – oder sie lässt die 10 Gewinn im Unternehmen. Dann hat sie plötzlich ein Eigenkapital von 40.

        Das Eigenkapital steht auf der rechten Seite der Bilanz, da, wo auch die Schulden stehen. Bisher standen da also 30 Eigenkapital und 70 Schulden. Die rechte Seite einer Bilanz nennt man auch Passiva.
        Auf der linken Seite der Bilanz stehen die positiven Vermögenspositionen, also das Haus. Die linke Seite einer Bilanz nennt man auch Aktiva.
        Eine Bilanz heißt Bilanz, weil die rechte und die linke Seite immer ausbalanziert gleich groß sein müssen.
        Das funktioniert hier auf prima: Links das Haus für 100 und rechts Eigenkapital und Schulden zusammen auch 100.

        Wenn auf der rechten Seite jetzt eine Position größer wird (das Eigenkapital, weil der Gewinn ja nicht ausgeschüttet wird), dann muss zum Ausgleich entweder eine andere Position auf der rechten Seite kleiner werden (und die einzige andere Position auf der rechten Seite sind die Schulden, man könnte also Schulden in Höhe des Gewinns tilgen), dann ist rechts und links wieder ausbalanziert – oder die linke Seite wird ebenfalls größer, man könnte also noch eine Garage dazu erwerben (investieren) oder das Geld auch nur ganz profan in cash auf der Bank liegen lassen – in beiden Fällen wird die linke Seite größer und dann passt die Gleichung auch wieder.
        Wenn die Gesellschaft den Gewinn, den sie erwirtschaftet hat, NICHT ausschüttet, dann landet er automatisch im Eigenkapital, und sie muss sich nur noch entscheiden, ob sie Schulden tilgt oder eine Garage kauft.

        Am Ende des Jahres gibt es also ein Eigenkapital von 40 und entweder Schulden von 60 – und Haus unverändert mit 100 – oder Haus mit neuer Garage für 110 und dafür Schulden weiter bei 70.

        Wenn sie den Gewinn dagegen ausschüttet, dann muss sie gar nicht darüber nachdenken, dann ist der Gewinn einfach wieder weg und es bleibt alles so wie vorher.

        ———-
        Es tut mir leid, dass ich hier so besserwisserisch reingrätsche, aber ich habe den Kram 15 Jahre lang unterrichtet und in der Zeit gewisse Empfindlichkeiten entwickelt. Ich halte es für ungemein wichtig, dass den Leuten klar ist, dass Rücklagen Teil des Eigenkapitals sind und nicht auf einem Bankkonto liegen.
        Zu oft schon musste ich Menschen klarmachen, dass man vom Eigenkapitalkonto kein Geld abheben kann.

        1. Bitte ausdrücklich immer reingrätschen, das ist sich das Schöne daran, dass es interaktiv ist und andere klarstellen, beitragen, korrigieren können!

          Zu dem ersten Punkt sage ich noch was, habe allerdings momentan keine Zeit. Beim Rest hatte ich unklar formuliert, danke für die Klarstellung!

  3. Ich würde ja sagen, wer Ü30 ist; interessiert genug ist, um auf Twitter über derartige Themen zu diskutieren und wem selbst dieses Basiswissen fehlt, das hier im Post vermittelt wird – der/die/das will das gar nicht wissen.

  4. In Ihrem Einleitungssatz zu dieser Erklärungsserie sagten Sie, dass der Auslöser für Sie irgendwelche Kommentare zur Ausschüttung von Vonovia waren. Ausgerechnet Vonovia verwirklicht ja nun wirklich viele Besonderheiten in ihrer Ausschüttung, erstens die Wahldividende und wenn man dann Cash haben möchte, zahlen sie auch noch aus dem steuerlichen Einlagekonto, wie die Telekom. (Da Vonovia grade die Cash-Dividende auszahlte und ich sie verbucht habe, fiel mir das auf.)
    Ich bin deshalb schon sehr gespannt, wie Sie all diese Gimmicks noch in Ihren weiteren Erklärungen verarbeiten, ich weiß aber auch, warum ich mich nicht danach drängele, diese Thematik anderen zu erläutern, es ist halt kompliziert…

    1. Ich hatte nicht vor, die Gimmicks zu erklären! In den betreffenden Kommentaren waren schon die Grundlagen nicht korrekt erfasst, also die, die im Wesentlichen überall gleich sind. Um die geht es mir.

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