4. Oktober 2023
Meine Güte, ich habe es nicht leicht. Im Büro beschäftigt mich weiterhin der Compliance-Fall, bei dem wir mittlerweile drei Interessengruppen haben, die alle nicht in der Lage oder nicht gewillt sind, ihre Arbeit vernünftig zu machen. Ich sitze in der Mitte, weiß alles besser und sehe es schon kommen, dass ich am Ende die einzige bin, die mit einem Reputationsschaden aus der Sache hervorgeht. Immerhin, das ist dann wieder das Lustige, kann ich es mir auch von allen am besten leisten.
Hier habe ich es auch schwer, in der täglichen unverbindlichen Contentvorschlagliste wird gewünscht, dass ich etwas zum „Manifest für den Frieden“ von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer sage. Wollen Sie mich fertigmachen? Ich verlinke das Manifest hier nicht, man kann das ja sehr einfach googeln. Mein Gesamturteil lautet: es ist unterkomplex.
Ich hole aus: ich war früher, so zu Schulzeiten, davon überzeugt, dass Militär scheiße ist. Dass man zu Kriegen definitiv nicht hingeht. Dass man alle retten kann. Dass es immer eine richtige Lösung gibt und dass alle die verstehen, wenn man mal vernünftig mit ihnen redet. Dass es immer eine gute Entscheidung gibt.
Das war der Luxus eines noch nicht so viel gelebten Lebens und eines relativ geringen Erfahrungsschatzes und dieser Luxus steht mir heute nicht mehr zur Verfügung. Ich habe heute gelernt, dass es oft nur beschissene Entscheidungsvarianten gibt und dennoch ist eine davon auszuwählen und das wird nicht etwa am Ende belohnt, weil sich herausstellt, dass es halt im ganzen Dreck dann doch das richtige war – nein, so ist das nicht. Es wird immer offen bleiben, ob nicht eine andere miese Variante doch ein klein wenig besser gewesen wäre, es wird immer eine mistige Entscheidung bleiben, die man dann halt getroffen hat und für die man verantwortlich ist, ganz ohne Happy End. Und wir können uns nicht mit allen einigen, die Varianten der Realität, in der wir uns befinden, sind oft zu unterschiedlich, um in der Zeit, die wir haben, eine Schnittmenge aufzutun und um irgendwas verhandeln zu können, braucht man eine wie auch immer geartete Basis und Verhandlungsmasse. Alle retten kann man schon gar nicht, noch nichtmals alle die, die sich überhaupt retten lassen wollen.
In Bezug auf die von Russland überfallene Ukraine sehe ich auch keine einfache, klare und definitiv gute Entscheidung. Ich habe keine Vorstellung davon, wie Verhandlungen sinnvoll ablaufen könnten. Ich habe keine Vorstellung davon, wie der Krieg jemals wieder aufhören kann. Ich bin sicher, es wird noch viele Tote und viel Zerstörung geben. Ich habe keine Ahnung, was die am wenigsten dreckige Variante unter allen möglichen dreckigen Entscheidungen sein könnte und ich leiste mir hier den Luxus, zu sagen: das sollen für Deutschland Personen entscheiden, die eine bessere Informationsbasis haben als ich, die kompetentere Fachpersonen haben, als ich es bin, sprich: die Bundesregierung.