Heute war Tag der Rückfahrt, ich habe – keine Ahnung was da los war – exakt von 4:30 Uhr bis 6:20 Uhr geschlafen, dann waren wir 12 Stunden unterwegs. Dem Kalender nach ist Freitag. Morgen und übermorgen arbeite ich, Montag habe ich wieder frei, Dienstag und Mittwoch Büro, Donnerstag neue Reise. Die Nacht am Wochenende wird eine Stunde mehr haben. Ich sage voraus, dass ich in Bezug auf Wochentage bis auf Weiteres sehr verwirrt sein werde.
In der tägliche Contentvorschlagliste steht heute: „Sehnsucht“. Ich erwähnte gestern die Sehnsucht nach den Katzen, die sind jetzt hier (bzw. ich bin wieder hier, die Katzen waren es ja die gesamte Zeit), das war einfach.
Gut, dann mache ich das Fass mal auf. Wer, wie ich, immer sehr schnell rennt, hat für Sehnsucht wenig Zeit. Es ist ja immer alles sehr voll, sehr gedrängt, wie soll ich bemerken, dass mir etwas fehlt, wie sollte ich nach mehr verlangen, wenn doch alles schon so viel ist. So viel Gutes, Schönes, Unterhaltsames, Lustiges, Erfreuliches auch.
Und dann gibt es die kleinen Momente, in denen nichts ist, häufig bei Autofahrten, manchmal beim Warten an Bahnsteigen, ein bestimmtes Licht, ein bestimmter Wind, Wortfetzen, ein Duft. Wonach ich mich dann sehne, ist Leichtigkeit. Das Gefühl von Unsterblichkeit oder auch Unbesiegbarkeit ist mir schon vor Jahrzehnten abhanden gekommen – das ist okay, das war nicht so wichtig. Leichtigkeit ist mir wichtig. Ich kann sie bisher weiter aufrechterhalten, es wird aber immer schwieriger, kostet mich immer mehr. Meine Freundschaften sind natürlich entsprechend ausgerichtet, das passt schon. Doch darüber hinaus, alles weiter was drum herum ist, bietet immer weniger Windschatten, um auch mal einfach mitcruisen zu können. Es scheint mir, als ob fast die ganze Welt zunehmend gerne schwermütig ist und die Melancholie pflegt. Daran bin ich nicht so interessiert. Nach der Leichtigkeit, die ich um mich herum oft zufällig fand, die mir hier und da ganz unvermittelt begegnete, sehne mich mich und das zieht manchmal so sehr an mir, dass ich auf einem Parkplatz rausfahre und aussteige, mit den Füßen aufstampfe und alles versuche, nicht einfach laut zu schreien, weil dann vermutlich irgendwelche Personen zur Hilfe kommen würden und warum ich keine Hilfe brauche, wäre schwer zu erklären.
Wonach ich annähernd genauso Sehnsucht habe ist Auseinandersetzung. Denken Sie jetzt nicht sofort „Streit“. Ich meine genau das, was ich sage: Auseinandersetzung, die Bereitschaft, sich mit anderen Personen und ihren Haltungen und Meinungen auseinanderzusetzen statt sofort die Argumente aufzureihen, die beweisen, wer Recht hat. Recht haben ist in den allermeisten Fällen komplett irrelevant und es gibt nichts langweiligeres als Zustimmung, das Gespräch kann dann sofort abgebrochen werden, es ist ja nichts Neues mehr zu erwarten. Was mich interessiert ist, auch mit Unterschieden Wege zu finden, einen anständigen Umgang miteinander pflegen zu können. Ich sehen mich nach Gesprächen, in denen ich nicht Zustimmung bekomme sondern einen neuen, zusätzlichen Blickwinkel. Die sind sehr selten geworden. Meistens ist es Zustimmung oder Rückzug.
Diese beiden Sehnsüchte zu füllen ist nicht so einfach wie die Sache mit den Katzen, zugegeben.
„Wir sahen wie Menschen in [finsteren] Zeiten das Bedürfnis haben, näher aneinander heranzurücken, um in der Wärme der Intimität den Ersatz für die Leuchtkraft zu suchen, den nur das Öffentliche spenden kann. Das heißt aber, daß sie den Streit vermeiden und möglichst nur mit Menschen zu tun haben wollen, mit denen sie nicht in einen Streit geraten können. Für eine Natur wie die Lessings war in einer solchen Zeit und einer solchen Welt der Enge wenig Raum; wo man zusammenrückte, um sich aneinander zu wärmen, rückte man von ihm ab. Und gerade er, der bis zur Streitsüchtigkeit polemisch war, konnte die Einsamkeit so wenig ertragen wie die Distanzlosigkeit einer alle Unterschiede verwischenden Brüderlichkeit. Ihm ging es ja nie darum, sich mit dem anderen, mit dem er in einen Streit geraten war, wirklich zu entzweien, sondern einzig darum, durch das unaufhörliche und immer wieder entfachte Sprechen über die Welt und die Dinge der Welt auch das Unmenschliche noch zu vermenschlichen. Er wollte vieler Menschen Freund, aber keines Menschen Bruder sein.“
(Hannah Arendt, Von der Menschlichkeit in finsteren Zeiten. Rede über Lessing. München 1960, S.49f.)
Danke. Hannah Arendt schreibt immer so schön.
Von außen wirkt es, als falle dir alles leicht, als gäbe es eine große Leichtigkeit in deinem Leben. Würde ich gerne mal mit dir im persönlichen Gespräch diskutieren.
(Sehr spannender Absatz, danke dafür)
„Kein Aufwand ist zu groß, um etwas völlig beiläufig wirken zu lassen.“