Was für ein wahnsinnig zerfranster Tag! Ich wollte tausend Dinge tun, habe tausend Dinge begonnen und bin dann zu einer anderen Tätigkeit gesprungen, zu einer weiteren, wieder auf Begonnenes gestoßen und ein bisschen weitergemacht. Gleich morgens das Bett abgezogen, dann erst einmal gefrühstückt, zwischendrin 5 kg Zitronen heiß abgewaschen, dann Gesangsstunde, neue Bettwäsche ausgesucht, Wäsche sortiert, eine Waschladung angeschaltet, zum Einkauf aufgebrochen aber ein Auto mit zig Kästen Leergut vorgefunden, Leergut weggefahren, das ganze Auto aufgeräumt, spontan zu Mr. Wash gefahren, dann einkaufen, dann Teig für die Tarte gemacht und Zutaten für Risotto rausgelegt, dann ein Bett wieder frisch bezogen und einen Wäscheständer mit trockener Wäsche abgeräumt, eine neue Waschladung angestellt, Kühlschrankeinkäufe verräumt, zwischendrin Katzen gebürstet und kurz staubgesaugt und mit M ein Partyoutfit ausgesucht, kandierte Zitronen gemacht, Spülmaschine aus- und wieder eingeräumt, Getränke verräumt, ein weiteres Kopfkissen frisch bezogen, Zitronencreme für die Tarte gemacht, mittlerweile zu viel Chaos, um noch Risotto zu machen, daher Aufbackbaguette gegessen, Tarte fertiggebacken, restliche Zitronen geschnitten und eingefroren. Jetzt sind noch eine Bettdecke und ein paar Kissen zu beziehen, restliche Einkäufe wegzuräumen, die nasse Wäsche aufzuhängen (und dafür wohl noch ein Wäscheständer freizuräumen) und dann sollte alles wieder so wie vorher, besser als vorher, sein.
Der Mensch, bei dem ich das Leergut abgab, war wehleidig. Die Kästen waren nicht alle voll und ganze 5 Flaschen waren einzeln nicht in einem Kasten. „Das ist ja alles durcheinander!“, sagte er vorwurfsvoll und ich fragte „Was meinen Sie genau damit?“. „Ja hier halt“, deutete er auf die Kästen und ich deutete auf Kasten 1 und fragte „Ist der durcheinander?“ Nein, war er nicht. Kasten zwei auch nicht. Die übrigen Kästen auch alle nicht, ich habe es einzeln abgefragt. „Ist schon gut“, sagte der Leergutmann. Ich habe die Fähigkeit verloren, unsinnige Bemerkungen stehenzulassen. Diese Großzügigkeit ist mir verloren gegangen. Das habe ich auch schon bei Online-Konversationen an mir festgestellt.
Im Supermarkt war ein älterer Mann, ich fuhr mit dem Einkaufswagen an ihm vorbei, er sagte „Entschuldigung“. Ich fuhr zurück und sagte „Ja? Kann ich helfen?“ und er antwortete „Nein, ich habe mich nur entschuldigt, weil ich hier stehe, das stört ja!“. „Sie stören überhaupt kein bisschen“, sagte ich. „Das hat lange niemand mehr zu mir gesagt“, sagte der ältere Mann. Dann gab es noch einen Polizeieinsatz im Supermarkt, ein Mensch, der unsere Sprache nicht sprach und „under influence“ war, konnte nicht zahlen bzw. wollte nicht zahlen, als die Polizei kam, ging es dann doch.
Heutige Frage in der täglichen Contentvorschlagliste: „Nature or Nurture?“ Wir haben hier jetzt schon ein paar Mal darüber gesprochen, dass die Welt sehr komplex ist und in den seltensten Fällen nach einem Entweder-Oder-Schema funktioniert. Warum sollte das hier so sein? Glauben Sie nicht auch, dass jede inhärente Veranlagung auch gewisse Rahmenbedingungen braucht, um sich ausprägen zu können? Und glauben Sie nicht gleichermaßen, dass identische Rahmenbedingungen unterschiedliche Personen nicht zu gleichen Personen machen? Und dann haben wir auch noch freien Willen, wobei, wenn wir freien Willen als „frei von Kausalitäten“ definieren, dann haben wir keinen freien Willen. Oder wenn Sie Anhänger*in des Prädeterminismus sind, dann auch nicht, und dann wackeln sowieso die Grundlagen unserer Gesellschaft, wir tun dann gut daran, die Frage gar nicht zu beantworten und sie ist somit irrelevant.
Jetzt ob des älteren Mannes ein bisschen traurig …