8. Mai 2023

Gestern konnte ich nichts mehr schreiben, auf dem Rückweg von „Herzbruchs Kommion“ ereilte mich nämlich eine kurze Krankheit, keine Ahnung, was es war, aber mir tat der ganze Körper einschließlich Hautporen und Haarwurzeln weh und ich döste immer wieder weg, kam kaum die Treppe hoch, musste sofort ins Bett. Nach 10 Stunden Schlaf war heute Morgen alles wieder ganz hervorragend.

Ich werde heute nach den „besten Schuhen“ gefragt. Fragen nach dem „besten“ oder „schlechtesten“ finde ich immer etwas kurz gegriffen, es kommt schließlich völlig darauf an, für was. „Be water“ haben wir von Bruce Lee gelernt, heute spricht man von Agilität, zwischendurch hieß es mal „flexibel“, drop your tool or you will die, alles dieselbe Soße.

Die Schuhe – für wen, für mich, für andere und wofür, zum Gehen, zum Rennen, zum Stehen, zum Wandern, zum Balancieren, für warme Füße oder für wenn es warm ist, was weiß ich, ich langweile mich selbst gerade schon enorm mit dieser müßigen Aufzählung. Was sind denn für Sie die besten Schuhe, sagen Sie mal, und dann sagen Sie mir das bitte am 1.8. und am 1.1. nochmal und zwar jeweils heute und in 30 Jahren. Meine Güte. Ich darf Fragen nicht so zerreißen, sonst fragt niemand mehr was.

In diesem Moment die besten Schuhe für mich sind keine Schuhe, denn es ist Abend, ca. 20 Grad in der Wohnung und ich hab die Füße hochgelegt. Schuhe fände ich unbequem. Anders heute auf dem Weg ins Büro, das wäre barfuß unangenehm gewesen, wobei der Weg an sich wegen eines aufwühlenden Ereignisses unangenehm war. Eine Frau stolperte nämlich vor mir und fiel nach vorne hin, ungefähr so wie ich selbst Anfang des Jahre, ich spürte den Schmerz sofort nochmal, half ihr dann auf und fragte, wie ich helfen könne und zu meinem großen Erstaunen war die Antwort nicht „Krankenwagen“ oder „Taxi“ oder „mal eben zur nächsten Bank helfen um sich sammeln“ sondern „mein Ex vergiftet mich und deshalb war mir schwindlig und ich bin hingefallen“. Ich bot also an, einen Krankenwagen zu rufen, damit man die Vergiftung diagnostizieren und behandeln könnte (und außerdem, weil die Frau aufs Gesicht gefallen war und eine aufgeplatzte Lippe hatte), das wollte sie aber nicht und rannte (Beine waren also wohl okay) davon. Ich war kurz perplex, sah für mich dann aber keine weitere Handlungsmöglichkeit mehr und widmete mich wieder telefonisch Frau Herzbruch und der Buchung unserer Zugfahrt nach Wien, das lief nämlich seit etwa einer halben Stunde nebenher, man macht sich kein Bild davon, wie kompliziert so etwas immer ist.

Jedenfalls trug ich dabei schwarze Chucks Variante „hi“ und war damit sehr zufrieden, an der Schuhwahl lag mein Unbehagen definitiv nicht. Im Büro hingegen hätte ich lieber Pumps oder Ballerinas oder sowas angehabt, weil man die unter dem Schreibtisch einfach kurz ausziehen kann, das geht mich Chucks in „hi“ natürlich nicht, also ausziehen schon, aber nicht „einfach kurz“. Und als ich kurz im Aufzug in den Ganzkörperspiegel schaute, hätte ich auch jedenfalls in der Theorie gerne High Heels getragen, das hätte sehr schick ausgesehen, aber eben nur in der Theorie, denn ich hätte für immer im Aufzug verbleiben müssen, weil ich in High Heels ja gar nicht laufen kann.

Sie sehen, schon an einem Tag vier verschiedene Präferenzen.

6. Mai 2023

Um 8 war ich heute schon wach, was gut war, weil ich so noch ofenarme Scones mit zum Krönungsspekakel nehmen konnte. Nur das Frühstücken hatte ich vergessen, was mir nach dem ersten Kir Royal auffiel. Holladiho!

Bis zum letzten Moment dachte ich, Charles zieht das nicht durch und sagt irgendwann „so, schön, jetzt haben wir Krönung gemacht und ist auch super gelaufen, danke an alle, jetzt ist aber auch genug mit Monarchie, das ist ja alles Quatsch“. Das geschah aber nicht. Ich war ehrlich enttäuscht und auch perplex. Was für eine absurde, aus der Zeit gefallene Veranstaltung.

Hin und zurück fuhren wir mit dem Rad und auf dem Rad braucht man jetzt Sonnencreme, also fuhren wir auf dem Rückweg an der Drogerie vorbei und nun habe ich Sonnencreme für diesen Sommer. Der Einkauf hat mir schlechte Laune gemacht, man braucht jetzt Sonnencreme, das ist schlecht, zu warm ist mir auch schon, wobei ich da selbst noch denke, dass 20 Grad noch nicht unbedingt eine Temperatur zum Jammern ist. Aber Sonnencreme und Sonnenbrille müssen jetzt immer mit, was bedeutet, eine Tasche muss immer mit. Alles sehr schlecht. Ich habe mir vorgenommen, für diesen Sommer keine Pläne zu machen, damit ich die ganze Zeit mit der schlechtesten Laune der Welt zu Hause sein kann aber ich hatte kalkuliert, dass das erst im Juni los geht.Für Mai habe ich noch Pläne. Ich bin sehr angestrengt.

Später bepflanzte ich mit M den Balkon, wir hatten die Pflanzen schon Anfang der Woche gekauft und – halt auch wegen Sonne – wurde es jetzt dringlich, sie aus ihren kleinen Verkaufstöpfchen zu holen und da ich, wie gesagt, im Mai noch Pläne habe, war der realistische Zeitpunkt dafür heute um 19 Uhr. Danach bevor es dämmrig wurde schnell noch den Balkon gefegt-gesaugt-gewischt-nachgespült und eine Lichterkette installiert und die Schrauben am Balkontisch neu festgezogen. Mit dem Ergebnis bin ich sehr zufrieden. Mal gucken, wie lange die Blumen halten, bis sie verbrennen. Wobei die Lichterkette solar ist, also wenn zu viel Sonne für die Blumen ist, ist dafür gut Sonne für die Lichterkette, irgendwas wird also bunt leuchten auf dem Balkon. Wir sind gut aufgestellt.

Als Thema wird mir heute „Esoterik“ angereicht.

Ich nehme an, es geht um meine Haltung dazu, eine Definition kann man sich ja selbst googeln. Esoterik fällt in den Bereich Spiritualität, wie auch Religion, daran bin ich nicht so interessiert, also an Religion nicht und an Esoterik auch nicht, generell an Spiritualität nicht, an jeder Art von Introspektive eher nicht außer sie dient mir zu strategischen Zwecken, dann (leicht resigniert) schon, aber nicht als Hobby oder als Selbstzweck. Das ist wertfrei gemeint, man kann sich ja befassen, mit was man möchte, die einen lesen die Bibel, die anderen Tarotkarten, ich lese Science Fiction Bücher, der Unterschied ist zu vernachlässigen.

Was ich nicht mag – und das ist bei Spiritualität häufig so – ist, dass Leute, die einem anderen Denkweisenclub angehören, häufig als unverständig, manchmal als minderwertig betrachtet und gegebenenfalls auch ausgegrenzt werden. Das stört mich an vielen Varianten der Spiritualität: diese Rechthaberei, der Versuch Hoheitswissen zu schaffen und zu verteidigen. Ich muss zugegeben, dass manche Science Fiction Nerds das auch machen.

Insofern, Esoterik, ja, von mir aus, aber ist für mich eher wie Fernsehen – andere Welt aber regt nichts in mir und interessiert ich eher so mäßig, kann ich mich mal einen Abend drauf einlassen aber am zweiten dann zum Ausgleich gerne Karaoke oder so.

5. Mai 2023 – WmdedgT 5/2023

Alles zu WmdedgT wie immer bei Frau Brüllen.

Ich wache seit einigen Tagen immer um 6 Uhr ohne Wecker auf. Das ist lästig, ich muss nämlich erst um 7 Uhr aufstehen. Die ersten Tage, an denen das geschah, bin ich dann auch gleich aufgestanden und habe den Tag eine Stunde früher begonnen, heute habe ich mich anders entschieden und bin im Bett liegen geblieben, habe den Kater gekrault, mit den Zehen gewackelt und die Gedanken schweifen lassen. Das war auch keine gute Idee, schon nach einer Viertelstunde kamen mir zig Einfälle und ich sprang quasi auf, um Zeit für diese Einfälle zu haben. Es wäre für alle und alles auf der Welt besser, wenn ich einfach eine Stunde länger schlafen würde.

M war gestern krank, heute Morgen ging es ihr besser aber sie war noch nicht zu 100% fit und wir besprachen kurz den Tag: zu Mathe und Englisch gehen ja, zu Sport nicht, auch kein Tanzen am Nachmittag aber Geburtstagsfeier am Abend okay.

Um 9 saß ich am Schreibtisch und hatte mir auch schon die Fingernägel lackiert, als der nOC etwas unerwartet (weil -6 Stunden Zeitdifferenz) schon anrief, aber gut, allzeit bereit und so weiter. Und weiter gut, so war alles vor der Italienischstunde erledigt, wir sprachen auf Italienisch über l’incoronazione di Carlo und weiter über „Seta“ von Barrico, ich gestand, dass ich in Kapitel 28 absolut nichts verstanden hatte, aber wir sollten (was ich nicht wusste) nur bis Kapitel 24 lesen, daher bekam ich auch nichts erklärt. Nächste Woche, aber ich gehe mal davon aus, bis dahin habe ich es mir auch selbst erschlossen, ich habe letztes Mal im Zug und ohne Internet, also ohne die Möglichkeit, irgendwas nachschauen zu können, gelesen.

Den Vormittag über unterschrieb ich stapelweise Dinge (Rechnungen, Verträge, Auslagenerstattungen etc. ) (ächz), befasste mich mit den Fallstricken von unbezahltem Urlaub zu Beginn des Arbeitsverhältnisses (Sozialversicherungsthematik), mit der Unterbrechung von Elternzeit für Mutterschutz (simpel), ärgerte mich über planlose Handwerker und las Verträge.

Zu Mittag war ich mit Fragmente zum Essen verabredet, eigentlich war es Kaffee später gewesen, sie hatte dann aber auf Essen geschoben, das war mir auch angenehm. Nur hatte ich vergessen, dass ich ja mittags normalerweise nichts esse, weil ich davon so unendlich müde werde.

Also war ich den Nachmittag über unendlich müde. Ich befasste mich mit der Kalkulation der Kosten für neue Büromöbel, zu liefern in 4 Chargen mit bestimmten Zahlungsterminen und Preisgarantie, den Fallstricken von Remote Work im Ausland (diverse, aber je nach Zielland unterschiedlich), hatte eine längere Videokonferenz zu der Frage, warum 3 Personen, die von A nach B transferren nicht dasselbe Paket an Leistungen erhalten (weil die Gründe und Umstände komplett unterschiedlich sind) und erledigte dann noch einen Schwung Kleinigkeiten, an die mich unterschiedliche Personen erinnert hatten – ich hatte sie zwar nicht vergessen sondern war einfach noch nicht dazu gekommen, aber jetzt war noch ein Slot für kleine Erledigungen und dann ist es ja sinnvoll, nicht beliebige zu machen sondern die, wo jemand sich die Mühe gemacht hat, zu erinnern, offensichtlich haben die ja dann für irgendwen (wenn auch nicht für mich) Priorität.

Auf dem Heimweg fuhr ich noch kurz einkaufen, dann zum Dönerladen, da M sich Falafeldürüm gewünscht hatte, Herr M. gekam einen Standarddöner, ich war noch vom Mittagessen satt, dann wurde ich auf dem Rad angenehm nassgeregnet.

Gegen 19:00 Uhr war ich zu Hause, überreichte das Essen, startete eine Spülmaschine, setzte mich in den Sessel und traf neue Abendverabredungen – aber nicht für heute, heute bleibe ich im Sessel sitzen, schließlich muss ich morgen für l’incoronazione di Carlo fit sein und nicht so stanca e scavata aussehen wie Camilla. Achso und Scones muss ich noch backen, aber das geht so schnell, das kann ich auch morgen früh noch machen.

4. Mai 2023

Wie praktisch diese Themenvorschläge sind, ich muss gar nicht mehr nachdenken, nur noch die Finger bewegen. Warum machen das nicht alle Menschen so?

Ich werde heute gefragt, ob ich schon mal auf eine Phishing-Mail oder Ähnliches hereingefallen bin und was dann passiert ist. Überraschenderweise ist mir das noch nicht passiert, das liegt aber glaube ich nicht an einer besonderen Cleverness, sondern daran, dass Phishing Mails sich ja immer um irgendwelche Themen drehen, mit denen ich mich nicht befassen will. Rechnungen, Bestätigungen von Adressen oder irgendwas, Überprüfungen von etwas, man soll Links klicken oder Dateianhänge öffnen – zu all dem habe ich ja überhaupt keine Lust, ich will nur Mails mit Verabredungsvorschlägen, schönen Nachrichten oder Blogkommentaren bekommen. Alles andere ignoriere ich geflissentlich, schaue es mir keinesfalls so nebenher zwischendurch an sondern allenfalls an irgendeinem Wochenendtag, an dem ich mal wieder Dinge erledige und so z.B. auch mein Mailpostfach aufräume. Das ist dann nicht nebenher sondern konzentriert und absichtsvoll und dann passiert es glaube ich seltener, dass man auf eine Phishing-Mail hereinfällt. Sowas geschieht eher nebenher, in Eile.

M ist vor vielen Jahren, ich glaube Ende der Grundschulzeit, mal in eine 0190er-Nummern-Falle getappt. Oder irgeneine andere kostenpflichtige Nummernfalle, die Zahlenkombination habe ich vergessen, es ging um eine Wahrsagehotline, die sie mit ihren Freundinnen immer mal wieder konsultiert hat. An der Telefonrechnung fiel mir auf, dass etwas nicht stimmte, anhand von Einzelverbindungsnachweis und Befragung konnte die Ursache schnell gefunden werden und die Behebung war auch einfach, ich hatte kostenpflichtige Rufnummern nämlich bei Vertragsabschluss schriftlich sperren lassen, das Geld wurde also nach einem Anruf bei der Hotline umgehend zurückgezahlt. M. hatte seither nie wieder ähnliche Problem, hat sich aber wohl kürzlich einen bitconschürfenden Computervirus (oder so ähnlich) eingefangen aber war auch in der Lage, den eigenständig (wenn auch mühsam) wieder loszuwerden.

So Sachen passieren halt und machen einen hoffentlich ein bisschen schlauer.

3. Mai 2023

Ich greife heute das Thema von gestern noch einmal auf denn durch einen Kommentar wurde mir klar, dass es nicht ausreichend behandelt ist.

Der Kommentar lautet: „Rückfrage: Wie gehen Sie mit schnellen Entscheidungen um, die sich im Rückblick als wenig optimal oder falsch herausstellen? (…)“.

Auch Rückfrage: Wie gehen Sie mit langsamen Entscheidungen um, die sich im Rückblick als wenig optimal oder falsch herausstellen?

Mit Entscheidungen ist es ja so: man kann eigentlich nur das entscheiden, was nicht entscheidbar ist. Man entscheidet sich also in einer Situation komplexer Unklarheit für eine mögliche Alternative, wie es weitergeht und alles andere zeigt die Zeit, ob vielleicht eine andere Alternative besser gewesen wäre, werden wir nie erfahren. Sichere Entscheidungen sind nur die, die man überhaupt nicht treffen muss, weil sie eh völlig auf der Hand liegen.

Ich habe meinen Frieden damit gemacht. Bin sehr gut darin, Reißleinen zu ziehen, Kühe vom Eis zu holen, mich zu entschuldigen.

…..

Eine weitere Schilderung zum Thema „viel Energie“ möchte ich ebenfalls noch nachreichen, denn was Sie vielleicht übersehen, wenn Sie Tipps für mehr Energie möchten ist, dass wir hier nicht von einem Schalter sprechen, den man nach Belieben an und ausschalten kann. Den hätte ich auch gern. In den meisten Fällen, die ich kenne, ist die eine oder andere Grunddisposition aber immer da und wenn Sie als Grunddisposition viel Energie haben, dann müssen Sie die auch irgendwie loswerden, auch wenn es gerade gar nichts, worauf Sie sie sinnvoll ausrichten könnten. Standgas sozusagen. Bei dieser Schilderung handelt sich um eine grobe Nacherzählung einer tatsächlichen Begebenheit:

Zwei Personen sitzen in einer kleinen Holzhütte auf dem Sofa, sie beschließen, sich eine Tasse Kaffee einzugießen und sich damit auf die Terrasse an den Tisch zu setzen. Person 1, das bin ich, springt sofort auf, wirft dabei das Handy auf den Fußboden, hebt es wieder auf, bleibt mit der Fußzehe am Sofa hängen, hüpft ächzend auf dem anderen Bein weiter, stößt sich am Stuhl, nimmt am Küchentresen die Kaffeekanne, gießt schwungvoll ein und spritzt, wischt auf, gießt Milch ein und spritzt, wischt auf, wirft Zucker hinein und krümelt, wischt auf, hastet zur gläsernen Terrassentür, verschüttet dabei etwas Kaffee, wischt mit dem besockten Fuß auf, öffnet die Tür mit der ganzen Handfläche, wischt schnell den Handabdruck weg, setzt die Kaffeetasse auf dem Terrassentisch ab und sich selbst auf die Bank, stößt dabei gegen den Tisch, der Kaffee schwappt über, sie wischt mit einem Taschentuch aus der Hosentasche auf, dass sie aus Abstand in den Papierkorb wirft, wirft daneben, steht wieder auf und hebt das Papier auf und wirft es ordentlich weg, setzt sich auf die Bank und trinkt den Kaffee in einem Zug aus.

In derselben Zeit hat Person B, die ich nicht bin, sich kontrolliert vom Sofa erhoben, entspannt Kaffee eingegossen und sich ohne weitere Umstände auf die Bank gesetzt und genießt nun ihren Kaffee.

Person A wie auch Person B sind mit Ablauf und Ergebnis der Angelegenheit hoch zufrieden, haben einen guten Tag und halten sich für völlig normal.

…..

Heutige Frage in der täglichen unverbindlichen Contentvorschlagliste: „Ist ADHS eine Modediagnose?“

Was ist mit Modediagnose gemeint? Ich sehe hier zwei Möglichkeiten:

A – Es ist ganz wertfrei eine Diagnose gemeint, die derzeit häufig vorkommt. Also wie Corona, Modediagnose Corona. Oder in den 80ern Aids, Modediagnose Aids. Das erscheint mir als Frage recht unstrittig und auch etwas langweilig.

B – Möglicherweise schwingt in der Fragestellung daher eine Abwertung mit, in der Art von „irgendwie erfunden und nicht ernst zu nehmen“. Insofern, ja, natürlich wurden verschiedene Störungen, die sich in Ausprägung und Leidensdruck auf einem Spektrum befinden, zusammengefasst und mit dem erfundenen Wort ADHS bezeichnet. Ich bin keine Fachfrau, aber nach meinem Verständnis ist ADHS schwer objektivierbar. Wie zum Beispiel ja auch Schmerz, der wird ebenfalls subjektiv bestimmt, meines Wissens wird die Existenz von Schmerz generell aber selten in Frage gestellt (individualisiert durchaus schon).

Mir ist deshalb nicht schlüssig, warum ich eine Symptomatik, die als leidvoll empfunden wird und die wir einordnen können in ein Störungsbild, das wir als ADHS bezeichnen, für erfunden halten sollte. Ich denke ganz generell, wenn Personen sich unwohl fühlen, lohnt es sich, hinzuschauen, warum und ob es Linderung gibt. Dafür erfasst man, sortiert, vergibt Namen, sucht Wege.

Vielleicht missverstehe ich die Frage. Bitte formulieren Sie in diesem Fall für mich verständlicher.

2. Mai 2023

Wie kann ein Tag so voll sein, ohne dass wirklich etwas passiert?

Schon morgens gab es Tränen in meinem Büro (lag nicht an mir!), dann unendlich viele Gespräche, so, als hätten sich alle ihre Anliegen über die letzten 4 Tage aufbewahrt. Ja, genauso war es vermutlich. Den Rest des Tages habe ich damit verbracht, in den Arbeitsbereichen, die ich abgegeben habe, bei Problemlösungen behilflich zu sein. Stun-den-lang. Wann hört das auf? Ich habe mir ja natürlich längst neue Aufgaben erfunden, die muss ich auch irgendwann machen und heute jedenfalls kam es nicht dazu. Dann ist noch der nOC ein absolutes Nadelöhr, noch Donnerstag hatte er mir zugesagt, dass wir „alles am Dienstag“ besprechen, heute war er aber schlicht nicht greifbar. Wie vom Erdboden verschluckt. Eine unkonkrete (ist ja alles vertraulich) aber genervte Mail von mir dazu hat er nun mit „morgen 9:30 Uhr“ beantwortet. Ich hoffe sehr.

Ich habe noch einmal überlegt, wie ich auf die Idee kommen konnte, in einer Woche gleich zwei Nächte quasi durchzufeiern. Ist es eventuell das, was man Midlife Crisis nennt? Wobei ich es nicht krisenhaft sondern sehr unterhaltsam empfinde, aber vielleicht habe ich auch etwas gründlich missverstanden, vielleicht ist Midlife Crisis gar nicht eine Krise, die man selbst als solche erlebt sondern nur ein für andere krisenhafter Umstand? Man hat allen Spaß der Welt und die anderen denken „das kann doch echt jetzt nicht sein“? Zuzutrauen ist es der Welt, man schreibt ja gerne Dinge, die man selbst nicht nachvollziehen kann, anderen als Problem zu.

Kommen wir ganz artverwandt zur Frage der Energie, so will es die tägliche unverbindliche Contentvorschlagliste, sie fragt folgendes: „Sie scheinen über sehr viel Energie zu verfügen. Haben Sie einen Tipp oder mehrere für energielose Menschen, die ihren Energielevel gerne steigern möchten?“

Ja, ich verfüge (zumindest meistens) über sehr viel Energie. Aber nein, ich habe wirklich keinen Tipp Was mir an mir im Vergleich zu anderen manchmal auffällt:

  • Ich will Dinge. Und das verstecke ich nicht. Wenn ich etwas will, versuche ich zu machen, dass es geschieht, da ballere ich also rückhaltlos hinein.
  • Ich wende auf viele andere Dinge einfach gar keine Energie auf, z.B. auf Fragen wie was wer jetzt denkt oder auf Selbstzerfleischungen zu irgendwelchen Themen.
  • Ich entscheide schnell. Entscheidungen ziehen viel Energie in der Abwägungsphase, setzen Energie frei wenn sie getroffen wurden. Weil ich schnell entscheide, nutze ich den Schub ohne vorher zu viel zu verlieren.

Wie alles auf der Welt ist das mit der Energie aber natürlich nicht einfach schwarz-weiß. Ja, man kann ständig Dinge wollen, pushen, andere mitreißen und ohne Blick zurück durch die Wand rennen. Was auf der Strecke bleibt ist oft der weite Blick, die zarten und feinen Gesten, die Achtsamkeit (und Ehrlichkeit) sich selbst gegenüber.

Das sind Dinge, die mir nicht zufliegen, die ich mir antrainieren und mich immer wieder selbst erinnern muss. Und dabei ist es gut für mich, Personen um mich zu haben, die nicht im selben Tempo mitrennen sondern mir ab und an einen Vogel zeigen und mich committen, mich auf ihre Art einzulassen. Was unglaublich spannend ist aber für mich auch unglaublich anstrengend.

1. Mai 2023

Nach dem Austoben jetzt Ausruhen. Auch schön. In der vergangenen Woche bin ich zu Papa N. gereist, habe Tag 1 der wichtigsten beruflichen Veranstaltung der letzten 4 Jahre geleitet, bin zur Goldenen Blogger Gala mit Frau Herzbruch gereist und mit ihr, Herrn Captain Pudding und seiner Begleitung in einer Karaoke-Bar versackt, habe wenige Stunden später Tag 2 der wichtigsten beruflichen Veranstaltung der letzten 4 Jahre geleitet, mich dann einen Tag sortiert, danach zum 2-tätigen Abschluss-Seminar einer einjährigen beruflichen Fortbildung gereist und bin von der Abschlussfeier ohne Zwischenstopp „Bett“ nahtlos in den ICE gestiegen. Gestern musste ich schlafen, heute war ich fit und habe mich wieder eingewohnt: die Wäsche gewaschen, Schränke sortiert, Dinge über Ebay Kleinanzeigen verschenkt (alle schon abgeholt, hurra) und 8 Tüten Müll stehen jetzt bereit. Morgen kaufen wir Pflanzen für den Balkon. Ich werde voraussichtlich erst in 11 Tagen wieder einen Koffer packen!

Die Frage aus der täglichen unverbindlichen Contentvorschlagliste heute lautet: „Wie ist es eigentlich dazu gekommen, dass Sie bei einer Bank arbeiten (tun sie das überhaupt oder interpretiere ich das falsch?)“

Das ist schnell beantwortet, denn ich arbeite nicht bei einer Bank.

Als Bonus nehmen wir deshalb noch die Frage von gestern mit dazu: „Wirkt sich dein Zyklus auf deinen Alltag aus?“

Ja, das tut er, also indirekt, da er sich auf meine Stimmung auswirkt. Ich mag das, so bin ich immer mal wer anders. Früher, als ich die Pille genommen habe, war meine Stimmung sehr ausgeglichen . Das ist sie jetzt (schon seit vielen Jahren) nicht mehr. Ich bin in der ersten Zyklushälfte sehr energiegeladen und teilweise überdreht, dabei auch, sagen wir mal, verbal sehr scharf gestellt.

In der zweiten Zyklushälfte werde ich ein ganz normaler Mensch, der auch ab und an mal was anstrengend findet und manchmal abends müde ist. Nicht jeden Monat, aber ab und zu, habe ich kurz vor der Regel ein bis vier Tage, an denen ich finde, dass die Welt an sich sehr schlecht ist, alles hoffnungslos, für Probleme, und sei es ein abgebrochener Bleistift, gibt es voraussichtlich keine Lösung sondern sie werden den weiteren Weg begleiten, der übrigens noch aus ganz anderen Leiden besteht, vor denen ich mich, obwohl sie noch noch undefiniert und nicht eingetreten sind, sehr fürchte. Gleichzeitig betrachte ich die ganze Welt mit großer Zuneigung und viel Rührung, wenn auf der Straße jemand Musik macht oder ein Hund vor dem Supermarkt wartet oder ein sehr alter Mensch freudig lacht kommen mir die Tränen.

Als das begann – also nach der Pillenzeit – hat es mich sehr verunsichert und auch erschreckt. Mittlerweile kann ich es (meist) einordnen und schaue in Phasen, in denen ich das Gefühl habe, dass wirklich gar nichts mehr geht in den Kalender und zähle durch und erkenne: aha, PMS. Von der Erkenntnis vergeht diese Stimmung natürlich nicht aber ich kann sie besser einordnen, was bedeutet: mich selbst auf einer anderen Ebene mit amüsierter Großzügigkeit betrachten, wichtige Entscheidungen oder Termine ein paar Tage aufschieben und Personen, mit denen ich mich gerade umgebe, über den Zustand informieren. Ich kann nicht sagen, dass ich diese Phase (wie gesagt, sie tritt nicht monatlich auf, nur ein paar Mal im Jahr) sehr schätze aber ich kann nicht bestreiten, dass sie ungemein lehrreich ist.

Mit Einsetzen der Regel bin ich absolut immer kein bisschen mehr hoffnungslos oder gerührt sondern einfach sauschlecht gelaunt. Dabei aber nicht unzufrieden. Ich bin ganz gerne schlecht gelaunt, das ist für mich gar kein Problem, das Problem besteht allenfalls für andere. Da ich ummittelbar nach dieser Phase ja wieder diesen irrsinnigen Energieüberschuss habe, fällt es mir leicht, alle, die ich vergrätzt habe, wieder für mich einzunehmen.

28. April 2023

Lange hatte ich nicht mehr so sehr das Bedürfnis, einfach zu Hause im Sessel zu sitzen, wie heute. Es zeichnet sich aber noch nicht so ganz ab, momentan sitze ich im Airbnb auf dem Sofa und das ist zwar auch okay, aber nicht dasselbe. Anders gesagt: ich bin noch nicht kaputtgespielt aber es zeigen sich die ersten Risse im Lack.

Die tägliche unverbindliche Contentvorschlagliste fragt heute: „elegant kündigen – wie geht das?“

Gegenfrage: in der Arbeitgeberposition? Das geht gar nicht, versuchen Sie es gar nicht erst. Die Situation ist beschissen und wird durch nichts besser, eine Kündigung durch den Arbeitgeber ist immer ein Angriff auf die finanzielle Sicherheit und wirkt immer wie ein Angriff auf die Person. Gut machen können Sie nichts, aber das, was sie tun müssen, ist aber a) sich gründlich vorbereiten, ob und warum das wirklich die richtige Maßnahme ist und wie Sie das relativ knapp und klar ausdrücken können, b) die Kündigung persönlich aussprechen (also nicht wen anders vorschicken), c) umgehend zum Punkt kommen und d) sich danach für was auch immer erforderlich ist zur Verfügung stellen.

Aus Arbeitnehmerposition wiederum ist es ja relativ egal, wie Sie kündigen. Es ist für den Arbeitgeber meistens ziemlich ärgerlich aber nie ein persönliches Drama. Und auch selten überraschend, ich kann mich an keine Kündigung erinnern, die für mich völlig aus dem Nichts gekommen wäre.

Unelegant finde ich, das Kündigungsschreiben nicht dabei zu haben, denn mit einer mündlichen Kündigung kann ich nichts anfangen, die ist ja nicht wirksam, da habe ich dann eine Information zu einer wesentlichen Veränderung, auf die ich aber nicht wirklich reagieren kann. Das ist lästig.

Hilflos macht es mich, wenn Personen, die kündigen, anfangen zu weinen, ich verstehe aber, dass das oft der Erleichterung geschuldet ist, einen wichtigen Schritt gerade gegangen zu sein, nach dem jetzt die Anspannung abfällt oder manchmal auch, weil etwas das auch gut war zu Ende geht, weil jetzt etwas (hoffentlich noch) besseres kommt, aber über den Abschied vom Guten kann man dann natürlich trotzdem traurig sein.

Fast nie ist der Moment der Kündigung ein guter Zeitpunkt, über die Gründe zu sprechen denn die Angelegenheit ist meist mit viel Nervosität behaftet. Ich bestätige deshalb immer sofort den Erhalt und dann gibt es drei Varianten.

Variante A ist, dass die Kündigung mir nicht ganz unrecht ist, dann drücke ich Bedauern aus und dass ich gerne einen Termin machen möchte, um die Gründe zu erfahren.

Variante B ist, dass mir die Kündigung nicht recht ist, mir aber bewusst ist, dass es verschiedene Unzufriedenheiten gab und ich keine Möglichkeit gefunden habe, die zu beheben. Dann sage ich, dass ich das befürchtet habe und bedauere und dass es meiner Ansicht nach keinen Sinn macht, in eine Verhandlungssituation zu gehen, weil ich das Gewünschte nicht im Angebot habe. Dass ich aber gerne gesprächsbereit bin, falls ich mich irre und die Person eine Idee hat, was sie zum Bleiben bewegen könnte.

Variante C ist, dass mir die Kündigung gar nicht passt, auch dann bestätige ich sie natürlich erst einmal, sage aber klar, dass ich kämpfen werde und einen Termin ein paar Tage später anberaume, bis zu dem sich die Person bitte überlegen soll, wie ich sie zum Bleiben bewegen kann. Dann kommen ein paar spannende Tage oder Wochen und am Ende überlegen ca. 50 % es sich nochmal wieder anders. Selten ist Geld der entscheidende Faktor, so gut wie immer hätten wir die entscheidenden Themen auch ohne Kündigung problemlos angehen können, wenn sie auf dem Tisch gelegen hätten. Ein paar Mal ist es dabei schon vorgekommen, dass der neue Vertrag schon unterschrieben war und mit einer Nichtantrittsklausel belegt, dann biete ich noch die Dienstleistung mit an, die Person da rauszuschwatzen. Da nähern wir uns dann auch wieder so langsam dem Punkt, an dem ich die Vorgehensweise unelegant finde. Ist aber egal, ich mache es ja trotzdem.

27. April 2023

Vielleicht bin ich doch ein bisschen durch. Ich bin heute wieder Bahn gefahren, es war relativ ereignislos (nur kaputter vorausfahrender Zug, kaputte Lüftung und Räumung des Wagens und Signalstörung – ach ja und die Steckdosen gingen nicht, das wurde zwar nicht durchgesagt aber hat mich etwas nervös gemacht), nun bin ich schon wieder an einem anderen Ort und war (wegen der Bahn halt) spät dran, bezog das AirBnB ujnd ging sofort in den Supermarkt und dann zur Essensverabredung. Nunja, und als ich zurück wollte hatte ich vergessen, wo die Wohnung, in der ich heute Nacht schlafe, genau ist. Das Haus wusste ich noch, das Stockwerk aber nicht und obwohl ich mir nach einigen Atemübungen ziemlich sicher in Bezug auf das Stockwerk war, passte der Schlüssel nicht.

Ich stelle fest: ich fühle mich erstaunlich und unangenehm blank, wenn ich nachts um kurz vor 23 Uhr in einer fremden Stadt nur mit einem Beutel mit Bananen, Joghurt und Wasserflaschen sowie einem Handy mit 30 % Akku (Steckdosen in der Bahn gingen ja nicht!) und einer einzelnen Debitkarte keine planmäßige Unterkunft habe.

Ich ließ den Beutel (der war schwer) erst einmal stehen und ging eine Runde spazieren, um mich besser sammeln zu können. Dabei spulte ich im Kopf das Gespräch mit dem Gastgeber noch einmal ab. „Und hier sind die Schlüssel, für oben und für unten, unten musst du die Tür zuziehen, wenn du rausgehst, die geht nicht von selbst zu und der Schlüssel ist für die Mülltonnen aber das brauchst du vermutlich nicht, wenn du nur eine Tüte Müll hast lass sie einfach da, ich bringe das später dann beim Putzen runter.“

Aha. Ich hatte aber nur zwei Schlüssel am Schlüsselring, der dritte fand ich in meiner Hosentasche inmitten des Kleingeldes, das ich da aus einem neuen Grund, der heute zu weit führt, immer habe. Dieser Schlüssel passte auf die bei den Atemübungen identifizierte Tür, ich stolperte ins Apartment, rannte mangels gutem Körpergefühl in ein Regal und gegen eine Kommode und blieb ein einer Türklinge hängen und beschloss dann: keine gute Zeit, den Koffer auszupacken oder irgendwas zu tun, was von „auf dem Sofa sitzen und ein Glas Wasser trinken“ abweicht. Also das.

Heute wohne ich also in diesem AirBnb (und die nächsten 2 Tage auch noch). Die tägliche unverbindliche Contentvorschlagliste fragt heute, in welchen Konstellationen (mit Eltern, allein, mit Fremden, Freunden, Partner…) ich schon gewohnt habe und wie die Übergänge zwischen den verschiedenen Konstellationen waren.

Da ist nicht viel zu berichten. Ich habe erst bei meinen Eltern gewohnt, dann bin ich mit einer Freundin zusammengezogen. So blieb das während des Studiums, zwischendrin wohnte ich mal 3 Monate in Madrid (um Spanisch zu lernen) zusammen mit einer alten Dame, für die ich Dinge erledigte und deshalb bei ihr wohnen durfte, es war die Oma einer weitläufig Bekannten und eigentlich wohnte diese Bekannte bei der Oma und passte auf sie auf, aber sie war ihrerseits 3 Monate irgendwo. Ich habe vergessen, wo. Nach Abschluss des Studiums in ich mit Herrn N. zusammengezogen, so ist das seitdem, dann zog vor 18 Jahren M. bei uns ein und ist seitdem da und zwischendrin wohnte ja auch noch Frau Herzbruch für 3 Jahre, glaube ich, an jeweils 2 oder 3 Tagen pro Woche bei uns.

An die Übergänge erinnere ich mich nicht, ich vermute, da ich mich auf jede dieser Konstellationen gefreut habe, fielen sie mir leicht.

26. April 2023

Heute bin ich müder als gestern, was nicht verwunderlich ist: gestern flog ich komplett auf Adrenalin ca. 3 Meter über meinem Körper, heute hingegen stehe ich wieder auf dem Boden und habe eine annähernd normale Hirnchemie (glaube ich).

Das war unbeabsichtigt eine interessante Überleitung, die heutige Frage aus der unverbindlichen Contentvorschlagliste lautet nämlich: „Wie gehen Sie mit Angst um?“

Nunja, wie jeder vernünftige Mensch natürlich: ich versuche ihr zu entgehen, ducke mich weg und will die Situation meiden oder aus ihr entfliehen. Wer würde das anders machen?

Manchmal geht das allerdings nicht, dann kommt man aus der Situation nicht weg oder kann sich nicht ducken. In der Regel, weil die zur Verfügung stehenden Alternativen im Rahmen einer Güterabwägung als Lösungsansätze ungeeignet sind und dementsprechend die Angst schlicht auszuhalten ist. Ich glaube, ich verhalte mich da aristotelisch nach der Lehre vom kleineren Übel. Theorie ist aber immer ein bisschen langweilig, daher wechsele ich jetzt zu praktischen Beispielen.

Beispiel 1: Flugangst

Ich hatte schon erwähnt, dass ich Flugangst habe. Der könnte ich entgehen, indem ich einfach nicht in ein Flugzeug steige. Privat gehe ich gerne so vor, ich plane meine Urlaube bevorzugt ohne Flugzeug. Aber eben auch nicht immer, wenn ich zum Beispiel meine Schwester in Schottland besuche, fliege ich.

Meine Flugangst äußert sich ungefähr so, dass ich erst einmal die Buchung an sich länger als für mich üblich aufschiebe und mit zittrigen Händen erledige, dann verdränge ich sofort erst einmal alles. Immer, wenn ich den Termine im Kalender sehe wird mir kurz schlecht, ein paar Tage vor dem Flug beginne ich, von Flugzeugabstürzen zu träumen und wenn ich mich selbst nicht beobachte recherchiere ich in freien Momenten Wahrscheinlichkeiten von Flugzeugabstürzen und überlege, ob es für mich eigentlich günstiger ist, dass irgendwo anders gerade ein Flugzeug abgestürzt ist (weil: der statistische nächste Absturz ist schon durch) oder ungünstiger (möglicherweise der Beginn einer durch Elektromagnetismus oder dergleichen verursachten Serie). Außerdem bin ich, wenn ich gedanklich nicht aufpasse, in den Tagen vor dem Flug immer kurz traurig, weil ich schöne Dinge zum vermeintlich letzten Mal erlebe. Am Tag des Fluges selbst übergebe ich mich nach dem Aufwachen (bei Flügen später am Tag eventuell auch erst später) und dann fühle ich mich halt scheiße und steige ins Flugzeug und wenn ich aussteige, spüre ich keine Erleichterung, weil ich sofort wieder etwas anderes mache und vergessen habe, dass ich gerade noch Angst hatte.

Alternativ zu diesem Angstablauf könnte ich mit Zug/Auto/Fahrrad oder so etwas zu meiner Schwester fahren, eine Fähre oder der Eurotunnel lassen sich aber nicht vermeiden. In diesen Tunnel bringt mich so schnell niemand, da fliege ich lieber. Und vor Fähren hab ich auch ein bisschen Angst, außerdem habe ich immer wenig Zeit, in der Abwägung passt mir das nicht so recht. Ich könnte meine Schwester einfach nie wieder besuchen, sie kommt ja auch öfters nach Deutschland, ein Familiendrama wäre das nicht. Diese Lösung stößt aber mit meinem Willen zusammen und zieht dabei den Kürzeren.

Beispiel 2: Telefonanrufe bei Ärzt*innen

Ich habe im Verlauf der letzten Jahren Angst vor Telefonanrufen bei Ärzt*innen erworben, die irgendwann während der Krankheit von Mama N. kulminierte und es mir fast unmöglich machte, diese Gespräche zu führen. Ich sage „fast“, weil es schon noch ging, aber ich musste mich danach (oder auch mal währenddessen) auf den Boden und in Schocklage legen. Das war nicht immer gut praktikabel und gefiel mir auch nicht.

Dieser Angst bin ich ausgewichen, indem ich mir Hilfe geholt habe – beim Ausweichen, nicht bei der Bearbeitung, das wäre in der Gesamtsituation nicht gut umsetzbar gewesen und ich ging auch davon aus, dass die Angst mit Auflösung dieser Gesamtsituation verschwinden würde. Die Hilfe waren Herzbruch und CucinaCasalinga, die diese Anrufe für mich erledigten.

Leider ging dieses Verfahren nicht wie erhofft auf, ich musste mich nämlich ein paar Monate später dann auch bei Anrufen von Herzbruch oder CucinaCasalinga manchmal auf den Boden legen und simple Dinge wie die Vereinbarung eines Zahnreinigungstermins wurden ebenfalls schwierig.

Immerhin: mit Auflösung der Gesamtsituation hatte ich mehr Zeit mich mit der Thematik zu befassen und auch an dieser Stelle traf die Angst wieder auf meinen Willen: ich will selbst bei Ärzt*innen anrufen können. Und wenn das nur geht, in dem ich Angst aushalte und das wiederum nur auf dem Fußboden in Schocklage geht, dann muss es wohl so sein, dann muss ich liegend telefonieren. Das habe ich also eine Weile so praktiziert und dann fand ich es blöd und bin wieder aufgestanden. Jetzt geht es meistens (ich bin noch nicht ganz da, wo ich hin will, aber fast) wieder normal und ohne Angst.

Fazit: ich gehe mit Angst um, indem ich ihr ausweiche oder sie aushalte. Keine Ahnung, warum diese simple Feststellung so ein langer Text geworden ist.