4. April 2024
14 Mal habe ich mich in den letzten sechs Monaten unvermittelt sehr gefreut und Verursacherin dieser Freude war Joriste.
Sie wissen schon, ich habe immer so wenig Gepäck wie möglich. Als ich also letztes Jahr im Oktober mal eine Tasche dabei hatte, weil ich Joriste traf und wir den gesamten Tag unterwegs sein würden, war ich sehr unglücklich, weil ein großer heller Fleck auf dieser schwarzen Tasche war. Im besten Fall Milchschaum, ich glaube an diesen besten Fall, denn der schlechtere Fall wäre Vogelkacke gewesen. Ich wollte eine Toilette suchen, um mit den dort hoffentlich vorhandenen Materialen wie Wasser, Seife, Papierhandtuch Abhilfe zu schaffen, Joriste riet aber, lieber Feuchttücher aus der Drogerie zu verwenden.
Feuchttücher, seufz seufz, alles sehr lästig mit Feuchttüchern, klobige Packungen die nie mehr richtig schließen und die man daher nie aufbraucht, ich erinnerte mich dunkel an das Wickelalter von M, doch Joriste pries mir den vielfältigen Nutzen und kleine Reisepackungen an und außerdem standen wir gerade vor einer Drogerie. Ich kaufte eine 15er-Packung, der Fleck verschwand sofort und für immer, die übrigen 14 Tücher steckte ich ein und vergaß sie.
Im Verlauf der letzten sechs Monate grub ich zu mehreren Zeitpunkten entnervt bis verzweifelt oder resigniert in meiner Tasche, um irgendwas, hilfsweise ein schonmal benutztes Taschentuch zu finden um etwas aufzuwischen, stieß dabei auf die Feuchttücher und war sehr, also enorm, glücklich.
Die Fälle, an die ich mich erinnere:
Im Café, wo ich einen Tisch sauberwischte, der mir zu schmutzig/klebrig war (2)
An einem Bahnhof. Ich hatte eine Armlehne berührt und dabei in Rotz oder Spucke oder dergleichen (auch hier nicht weiter nachdenken) gefasst. (3)
In einer Zugtoilette. Ich hatte schon Seife an den Händen und das Wasser ging nicht. Klugscheißen Sie nicht einmal in Gedanken, ich weiß natürlich, dass man im Zug immer erstmal schaut, ob das Wasser überhaupt geht und danach erst die Seife betätigt. Das hatte ich durchaus auch getan und das Wasser ging. Vorher. Nachher nicht mehr. So selten vom Leben verarscht wurde ich selten, seit exakt diesem Tag prüfe ich vorher nicht mehr, ob das Wasser geht, exakt diese Situation passiert mir nicht nochmal. (4)
In der Bahnhofshalle, ich habe einem mir unbekannten Herrn Kaffee von den Schuhen gewischt, den er verschüttet hatte, weil es vor einer Bäckerei zu einem Eklat kam, der Herr war schwerst bepackt und die Situation für ihn sehr misslich. Ich brauchte dafür zwei Tüchlein. (6)
Als ich auf dem Weg zu einem recht wichtigen Termin war und kurz vor Ankunft entdeckte, dass ich mich offensichtlich zu Hause noch kurz mit der schwarzen Hose in Katzenkotze gekniet hatte. Es ging ganz rückstandslos raus. (7)
Im Zug, nachdem ich eine klebrige Nussschnecke gegessen hatte. (8)
Auf dem Weihnachtsmarkt, um einer Kollegin Senf aus der Jacke zu wischen. (9)
Dann bei der legendären Kneipentour, auch hier brauchte ich zwei Tücher, eins für meinen Mund und eins für die Spritzer auf den Schuhen. (11)
Um Vogeldreck vom Fahrradsattel zu entfernen. (12)
Eins hab ich vergessen (13)
An einer Mülltonne, nachdem ich etwas hineingeworfen hatte und dann mit der Innenseite des Deckels in Berührung kam (14)
Heute das letzte Tuch vor einem Termin mit dem Chef – also nicht bei ihm sondern gemeinsam mit ihm und meine Schuhe waren (von der Baustelle im anderen Stockwerk) völlig verstaubt und verdreckt. (15)
Ich habe heute eine neue Packung gekauft. Nicht dieselbe kleine Packung wie zuvor, leider, weil beide Mitarbeiterinnen bei Rossmann, mit denen ich sprach, nicht in der Lage waren, mich zum Regal mit den Reisegrößen zu dirigieren. Vielleicht ist irgendwas mit meiner Sprache. Die erste schickte mich zur Quengelware an der Kasse, die zweite zu Miniaturbürsten und Haarspangen. Ich nahm also die kleinste verfügbare Packung, 20 Stück oder 25, ich bin nicht ganz sicher, mit einem anderen Verschluss, auch da bin ich noch nicht sicher, ob der mich glücklich macht. Sollte ich die andere Packung nochmal finden, werde ich wechseln und die jetzige im Büro lassen, dennoch, ohne Tüchlein will ich nicht mehr sein, ich sehe ganz neue Marketingcampagnen für diese Dinger vor mir und eigentlich sollte man sie in „Schutzengel“ umbenennen.
In der täglichen Contentvorschlagliste wird heute gefragt: „Haben Sie nach Corona immer noch ein Virtuelles Büro und warum?“
Ich habe so oft wie möglich ein virtuelles Büro, leider geht das jetzt verhältnismäßig selten.
Warum. Ja, was kann man sich da vorstellen. Ich hatte mir viele Dinge dazu ausgemalt, die ich erzählen könnte, warum um Himmels Willen man auf die Idee kommt, ein virtuelles Büro zu haben. Von Erpressung über Unfähigkeit hin zu Bedürftigkeit. Dann hätte ich Sie raten lassen. Nur wird das der Sache nicht gerecht.
Mein Job ist inhaltlich eine einsame Angelegenheit. Zwar sind überall um mich herum Menschen, doch ich habe im Büro keine Person, mit der ich mich fachlich auf gleicher Ebene austauschen kann und schon gar keine Person, bei der es bei jedem Austausch nicht auch um eigene Interessenlagen und um wie auch immer geartete Hierarchieverhältnisse ginge. Und selbst wenn das nicht so wäre: ist es Ihnen schon einmal passiert, dass Sie auf eine Person stoßen, die nicht nur auf demselben Fachkompetenzlevel (oder darüber) liegt sondern die Sie auch allgemein intellektuell nicht kleinkriegen, von der nie die bequeme Antwort sondern immer die angemessene Kritik kommt und da haben wir die „Pausengespräche“, die Spaß machen und im richtigen Maßen anregen oder entspannten, bereichern und glücklich machen, wie halt unter guten Freundinnen, noch gar nicht erwähnt? Und – jetzt stellen Sie sich das mal vor – die Sie wie einen Flaschengeist auf Knopfdruck herbeirufen können? Wie toll ist das denn? Und wie absolut verrückt wäre es, das aufzugeben, nur weil eine Pandemie vorbei ist?
Fragen Sie lieber CucinaCasalinga, warum sie das virtuelle Büro noch hat, das ist der rätselhaftere Teil an dieser ganzen Geschichte.